Samstag, 10. September 2022

Friedrich Hölderlin und seine Zeit


Um Hölderlin zu verstehen, begreift man ihn am besten als Kind seiner Zeit. Es war eine Zeit des Übergangs. Als die französischen Revolutionäre die Bastille stürmten, war Hölderlin 19 Jahre alt. Wie viele junge Deutsche schwärmte auch er von den Verheißungen der Freiheit. Doch die Begeisterung kippte bald in blankes Entsetzen. Die Französische Revolution mündete in eine Schreckensherrschaft – und schließlich im Krieg.

Das heutige Deutschland war damals zersplittert in mehr als 300 Kleinstaaten, zusammengehalten durch das »Heilige Römische Reich« unter österreichischer Führung, bis dieses unter dem Druck Napoleons zusammenbrach. 1806 besiegte Napoleon auch die preußische Armee und herrschte damit über praktisch
ganz Kontinentaleuropa.

Unter französischer Herrschaft erlebte Preußen eine Zeit liberaler Reformen, darunter die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Modernisierung des Bildungswesens. Doch nach Napoleons Niederlage zerschlugen sich die demokratischen Hoffnungen rasch: Der preußische König unterdrückte die Reformbestrebungen, die Restauration begann. Das war der konfliktreiche Hintergrund, vor dem Hegels Philosophie entstand.

In Deutschland herrschte zugleich eine geistige Aufbruchsstimmung. Man wandte sich dabei vor allem gegen das mechanistische Aufklärungsdenken, das den Menschen auf eine Art Maschine reduzierte. Auf der einen Seite forderten Romantiker wie Johann Gottfried Herder (1744–1803), den Menschen wieder als unteilbares Ganzes zu sehen, als Einheit von Körper und Geist, die im Einklang mit sich selbst und der Natur steht. Die andere Strömung propagierte die Idee der moralischen Freiheit.

Ihr Ausgangspunkt war die Ethik Immanuel Kants. Kraft seiner Vernunft hat der Mensch die
Freiheit, sich über seine natürlichen Neigungen und Triebe hinwegzusetzen und nach selbstgewählten Prinzipien zu handeln. Wir sind eben keine Maschinen, wie manche Aufklärer
dachten, sondern selbstbestimmte, rationale Wesen.

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