Samstag, 12. November 2022

»Der Tod für’s Vaterland«




Du kömmst, o Schlacht! schon woogen, die Jünglinge
Hinab von ihren Hügeln, hinab in’s Thal,
Wo kek herauf die Würger dringen, –
Sicher der Kunst des Arms, doch sichrer

Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,
Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,
Und ihre Vaterlandsgesänge
Lähmen die Kniee den Ehrelosen.

O nimmt mich, nimmt mich mit in die Reihen auf,
Damit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!
Umsonst zu sterben, lieb’ ich nicht, doch
Lieb’ ich, zu fallen am Opferhügel

Für’s Vaterland, zu bluten des Herzens Blut
Für’s Vaterland – und bald ists gescheh’n! Zu euch,
Ihr Theuern! komm’ ich, die mich leben
Lehrten und sterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte dürstet’ ich euch zu seh’n,
Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!
Nun grüßt ihr freundlich den geringen
Fremdling und brüderlich ist’s hier unten;

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,
Und zähle nicht die Toten! Dir ist,
Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.

»Der Tod für’s Vaterland« von Friedrich Hölderlin



Weblink:

Zu Friedrich Hölderlins Gedicht „Der Tod für’s Vaterland“ - www.planetlyrik.de

Samstag, 24. September 2022

Hölderlins Studienjahre im Tübinger Stift

Hölderlin im Tübinger Stift

Hölderlins Studienjahre im Tübinger Stift, der führenden Landesuniversität des Landes Württemberg, in welcher die angehende Elite ausgebildet wurde.

Im Tübinger Stift stieß zu Hölderlin und Hegel der erst 15-jährige Schelling. Schelling kannte Hölderlin schon von der Lateinschule. Die Freunde versuchten, dem Abgschlossensein wenigstens geistig zu entfliehen. Hegel zeigte sich von Rousseaus »Contrat social« beeidnruckt, Schelling beschäfigte sich eingehend mit Kant und Hölderlin entdeckte Leibniz..

Eigentlich bestimmt zu einer theologischen Laufbahn, kämpfte er verzweifelt dagegen an und versuchte sich als Schriftsteller und in verschiedenen Anstellungen als Hauslehrer eine unabhängige berufliche Existenz zu schaffen. Der elf Jahre ältere Schiller hat Hölderlin gefördert.



Die Jahre der eigentlichen, engen Gemeinsamkeit zwischen Hölderlin, Hegel und Schelling begannen im Herbst 1790 und endeten im Herbst 1793. Die Freundschaft zwischen Hölderlin und Hegel wurde bis um die Jahr-hundertwende weitergeführt, die Freundschaft zwischen Hölderlin und Schelling wich wohl bald einer distanzierten, sehr seriösen gegenseitigen Hochachtung.



Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, war glühender Republikaner, für den die Französische Revolution, die er mit 19 erlebte, ein Erweckungserlebnis war, das für sein ganzes Leben bestimmend blieb.

Die durch das Datum der Französischen Revolution entfachte Begeisterung klingt bei Hölderlin zunächst so wieder: "Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schaamroth machen wird." (Brief an J.G. Ebel vom 10. Jan. 1797). Knapp drei Jahre später folgt die realgeschichtliche Ernüchterung auf dem Fuß. Im November 1799 spricht Hölderlin (wieder in einem Brief an Ebel) von "der allmächtigen alles beherrschenden Noth" und endet mit: "Glüklich sind wir dann, wenn uns noch eine andere Hofnung bleibt! Wie finden Sie denn die neue Generation, in der Welt, die Sie umgiebt?"

Samstag, 10. September 2022

Friedrich Hölderlin und seine Zeit


Um Hölderlin zu verstehen, begreift man ihn am besten als Kind seiner Zeit. Es war eine Zeit des Übergangs. Als die französischen Revolutionäre die Bastille stürmten, war Hölderlin 19 Jahre alt. Wie viele junge Deutsche schwärmte auch er von den Verheißungen der Freiheit. Doch die Begeisterung kippte bald in blankes Entsetzen. Die Französische Revolution mündete in eine Schreckensherrschaft – und schließlich im Krieg.

Das heutige Deutschland war damals zersplittert in mehr als 300 Kleinstaaten, zusammengehalten durch das »Heilige Römische Reich« unter österreichischer Führung, bis dieses unter dem Druck Napoleons zusammenbrach. 1806 besiegte Napoleon auch die preußische Armee und herrschte damit über praktisch
ganz Kontinentaleuropa.

Unter französischer Herrschaft erlebte Preußen eine Zeit liberaler Reformen, darunter die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Modernisierung des Bildungswesens. Doch nach Napoleons Niederlage zerschlugen sich die demokratischen Hoffnungen rasch: Der preußische König unterdrückte die Reformbestrebungen, die Restauration begann. Das war der konfliktreiche Hintergrund, vor dem Hegels Philosophie entstand.

In Deutschland herrschte zugleich eine geistige Aufbruchsstimmung. Man wandte sich dabei vor allem gegen das mechanistische Aufklärungsdenken, das den Menschen auf eine Art Maschine reduzierte. Auf der einen Seite forderten Romantiker wie Johann Gottfried Herder (1744–1803), den Menschen wieder als unteilbares Ganzes zu sehen, als Einheit von Körper und Geist, die im Einklang mit sich selbst und der Natur steht. Die andere Strömung propagierte die Idee der moralischen Freiheit.

Ihr Ausgangspunkt war die Ethik Immanuel Kants. Kraft seiner Vernunft hat der Mensch die
Freiheit, sich über seine natürlichen Neigungen und Triebe hinwegzusetzen und nach selbstgewählten Prinzipien zu handeln. Wir sind eben keine Maschinen, wie manche Aufklärer
dachten, sondern selbstbestimmte, rationale Wesen.

Samstag, 20. August 2022

Hölderlin-Zitat


"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."

Samstag, 6. August 2022

Hölderlins Hymne »Patmos« - Interpretation (K)



Dort, wo die Heimat keine Hoffnung geben kann, muss die Antike als Ersatz für das Pathos dienen. Hölderlin beginnt die Patmos-Hymne mit mystischem Pathos: Gott ist nah, näher als alles andere, denn wir sind untrennbare Teile des Allgegenwärtigen. Sein Schöpfungsplan entfaltet sich vor unseren Augen, und dennoch ist dieser göttliche Plan schwer zu fassen, da der Mensch immer eine beschränkte Sicht hat. Deshalb ist Offenbarung notwendig, wie einst auf Patmos. Die heute offenbar werdenden Zeichen bestätigen die damalige Offenbarung und weisen auf große Prüfungen hin, doch: »Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

Die Offenbarungen sind mittlerweile vorhanden, und die Zeiten spitzen sich zu: Die „Gipfel der Zeit“ sind nun „gehäuft“. Wohin man blickt, in allen Himmelsrichtungen („rings“), häufen sich die Zeichen der sich erfüllenden Offenbarungen („da gehäuft sind rings/ Die Gipfel der Zeit“). Doch leider werden diese Offenbarungen nicht erkannt und die Zeichen deshalb nicht richtig gedeutet. Wenn die ringsum gehäuften Gipfel des Westens und Ostens, Nordens und Südens nicht verbunden und im Gesamtbild gesehen werden, verlieren die einzelnen Offenbarungen (die Offenbarungen aller Kulturen) ihre Kraft („ermattend auf/ Getrenntesten Bergen“). Dies droht zu geschehen, wenn nichts Ent-scheidendes diese Scheidung der Gipfel überwindet, und deshalb bittet der Dichter um göttliche Hilfe.

Die Gefahr, die göttlichen Zeichen zu verkennen, muß der Mensch in seinem eigenen Leben durch leicht/lichtgebaute Brücken überwinden, um seine persönliche Aufgabe in der „Finsternis“ zu erkennen. Je größer die Gefahr ist, desto größer wird auch die entsprechende Hilfe . Gerade deshalb schreibt Hölderlin »Wo Gefahr ist, wächst/ Das Rettende«.

Dies ist insbesondere in der gegenwärtigen Phase der Menschheitsgeschichte gültig, da sich ein großer zyklischer Kreis schließt („da gehäuft sind rings [ringsum]/ Die Gipfel der Zeit“). Nah sind nun die großen Umwälzungen. Man beachte, daß das Anfangswort des Gedichtes – „Nah“ – in der elften Zeile in der gleichen Hervorhebung (in Großschreibung am Zeilenanfang) wiederholt wird. Nah ist Gott, und nah ist auch das gottgewollte Ende der Finsternis, das angekündigt wird durch die prophetischen Gottgesandten. Sie, die „Liebsten“, sind heute alle ebenfalls nah, weil die Erfüllung ihrer Prophezeiungen naht.

(Gott und Seine Liebsten leben in liebender Einheit, die symbolisch dargestellt wird durch die kongruente Wiederholung des Wortes „Nah“, gespiegelt über die Achse, die sechste Zeile, in der sich die „Adler“ befinden. Sie sind es, die Gottes Nähe und die Nähe der Liebsten erkennen und deren getrennte Offenbarungen über die Abgründe von Finsternis und Zeit hinweg verbinden. Diese verbindende Funktion der furchtlosen Adler wird versinnbildlicht durch die zentrale Stellung der „Adler“-Zeile zwischen den beiden „Nah“-Zeilen, die sich auf „Gott“ und auf „die Liebsten“ beziehen.)

Gerade jetzt, wo die Zeit sich zuspitzt und die „Liebsten/ Nah wohnen …“, ist das Rettende angesichts der wachsenden Gefahr besonders notwendig. Der Dichter erbittet dieses Rettende in Form von zwei Hilfen, die er in mystischer Verschlüsselung als „unschuldig Wasser“ und „Fittige“ umschreibt. „Unschuldig Wasser“ bezieht sich auf das reine Bewußtsein, das direkt aus der Quelle fließt und die Quelle mit dem Meer verbindet, d. h. die Trennung überwindet. Die Flügel sind, wie bereits erwähnt, die Brücken, die aus der Finsternis hinaus und über den Abgrund hinweg führen.

Mit diesen Gottesgaben des Wassers und der Flügel wird es möglich sein, zu den einzelnen Gipfeln der Zeit „hinüberzugehn und wiederzukehrn“ und die Offenbarungen im Gesamtbild richtig („treuesten Sinns“) zu verstehen, ohne sie zu verfälschen. Dies ist auch das Anliegen des Autors im vorliegenden Buch, denn die von Gott gewährte Einsicht ist das wahrhaft Rettende, das uns vor jeglicher Gefahr bewahrt.

Weblink:

Hölderlins Hymne Patmos - Armin Risi

Samstag, 23. Juli 2022

Hölderlin war eine tragische Figur



Friedrich Hölderlin war eine tragische Figur, dessen Schicksal von dem Niedergang eines gebrochenen Mannes kündet.

Ab Juni 1804, nach der Rückkehr aus Bordeaux und einem schwierigen Aufenthalt in Nürtingen, lebte Hölderlin erneut in Homburg, Sinclair hatte ihm eine - von Sinclair selbst bezahlte - Stelle als Hofbibliothekar verschafft. Politische Wirren um die Neuordnung Europas, eine Verleumdungsklage gegen Sinclair wegen Hochverrats und die zunehmende Labilität Hölderlins verkomplizierten die Situation.

Am 11. September 1806 wurde Hölderlin gegen seinen Willen nach Tübingen in die Autenriethsche Klinik gebracht.
Friedrich Hölderlin kam ab 1807 zur Pflege bei der Tübinger Tischlerfamilie Ernst Zimmers.
In den letzten 36 Jahren lebte er in deren Haus in einer Teestube oberhalb des Neckartals, heute als Hölderlinturm bekannt.

Misshandlungen während der 231-tägigen Zwangsbehandlung im Krankenhaus, der von Autenrieth geleiteten Klapse, führten dazu, daß Hölderlin danach ein zum psychischen Krüppel Geschlagener war. Einer, der sich in sich zurückzog, mit der Außenwelt nicht mehr oder kaum noch kommunizierte. Keinesfalls aber war Hölderlin ein Umnachteter, Schwachsinniger.

Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung.

Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) gilt heute zwar als einer der größten deutschen Dichter, erlebte diese Geltung jedoch vor seinem Tode nicht. Sozusagen "entdeckt" wurde er - wie auch Friedrich Nietzsche - erst nach dem Ersten Weltkrieg, also erst beinahe achtzig Jahre nach seinem Sterben. "Manche Menschen werden posthum geboren." (O-Ton Nietzsche).

Samstag, 16. Juli 2022

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin



Das Erntefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indes am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin

Video:

Friedrich Hölderlin: Der Sommer - Youtube

Sonntag, 3. Juli 2022

Wilhelm Waiblingers Treffen mit Friedrich Hölderlin

Wilhelm Waiblinger


Am 3. Juli 1822 traf Wilhelm Waiblinger erstmals den damals bereits seit anderthalb Jahrzehnten als wahnsinnig geltenden Dichter Friedrich Hölderlin im Hölderlinturm zu Tübingen, bei dem er während seiner gesamten Studienzeit häufiger Gast war.

Diese Begegnungen verarbeitete er zunächst in seinem Roman »Phaeton« (1823), der ihm unter den Studenten enorm viel Bewunderung einbrachte; zudem war auch sein Gedicht-Zyklus »Lieder der Griechen« in den Handel gekommen. Später porträtierte er Hölderlin in seinem Essay »Friedrich Hölderlin’s Leben, Dichtung und Wahnsinn«, der als Beginn der Hölderlin-Forschung gilt.

Wilhelm Waiblinger war der erste Biograf Hölderlins. Waiblinger, der Hölderlin mehrmals in Tübingen besucht hat, ihn auch zu Spaziergängen und in ein von ihm gemietetes Gartenhaus einlud – freilich nicht ohne eigennützige Hintergedanken. Waiblinger wollte einen Roman über einen wahnsinnigen Künstler schreiben und Hölderlin sollte ihm hierfür als Vorlage dienen.

Das Vorgehen und die Schilderungen Waiblingers von Hölderlins vermeintlichem geistigen Zustand haben freilich etwas von einem Bild-Reporter. Waiblinger behauptete zum Beispiel, Hölderlin habe keinen Gedanken mehr entwickeln können.

Samstag, 25. Juni 2022

Friedrich Hölderlins Spätwerk



Während sich die Wissenschaft mit Erfolg um Hölderlins Bedeutung in der Geschichte des deutschen Idealismus bis zur Jahrhundertwende bemüht, d. h. in der Zeit, in welcher der›Hyperion<, der >Empedokles< und die theoretischen Schriften entstanden, blieben die Jahre nach 1800 und damit das überragende lyrische Spätwerk weitgehend außerhalb des philosophischen und historischen Fragehorizonts. Lyrik, mochte sie von noch so hoher geistiger Intensität zeugen, schien trotz der gerade bei Hölderlin schon immer naheliegenden Einsicht in den inneren Zusammenhang von Denken und Dichten in kein Kontinuum der Reflexion und in keinen systematisch beschreibbaren Horizont integrierbar. Das hatte nicht nur zur Folge, daß das Spätwerk in dieser Hinsicht beinahe eine terra incognita blieb; man glaubte auch Erkenntnisse, die sich aus der Analyse des früheren Werks ergaben, einfach auf das spätere übertragen und es im übrigen vernachlässigen zu können. Nicht zuletzt ging so die Frage nach einer möglichen weiteren Entwicklung
von Hölderlins dichterischem Denken fast verloren — nach einer Entwicklung, die sich doch für die ebenfalls nur knapp bemessenen Schaffensjahre vor der Jahrhundertwende klar abzeichnete.

Samstag, 18. Juni 2022

Friedrich Hölderlin und die poetische Kraft der Verwandlung (E)






Was Hölderlin als Dichter auszeichnet, ist seine ungeheuere Kraft der poetischen Verwandlung, fremde Welten in Poesie zu verwandeln und dem Leser in seiner Dichtkunst nahezubringen.

Hölderlin verwandelt durch seine Phantasie Traumwelten in Dichtung. Seine Traumwelten sind räumliche Fluchten aus der Realiltät des damaligen Herzogtums Württemberg.


Hölderlin

Hölderlin - ein Dichter der Revolution



Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

»Ich duld es nimmer! ewig und ewig so/Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter/Die kurzen, vorgemeßnen Schritte/Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!«

Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin wollte der Dichter der Revolution sein und Anhänger ihrer Ausweitung auf Deutschland. Und er hat Friedrich Schiller als den deutschen Dichter der Freiheit zutiefst verehrt - als einen der beiden großen Dichterfürsten in Weimar, die klassisch geworden sind. Doch die Klassiker standen der großen Französischen Revolution skeptischdistanziert gegenüber. Und so klassisch werden, wie sie, wollte Hölderlin nicht.

Er dachte anders mit seinem »Hyperion« unter die Deutschen zu kommen: Gewiss er kämpfte vor allem um seine Anerkennung als Dichter – aber als Dichter einer württembergischen Revolution. Und er gehörte auch zu denen, die sie politisch planten. »Wenn’s sein mus, so zerbrechen wir unsere unglücklichen Saitenspiele, und thun, was die Künstler träumten«, schrieb er an den Freund Neuffer.

Eine französische Armee stand in Württemberg, doch das Direktorium in Paris wollte diese württembergische Revolution 1799 nicht. Sie findet nicht statt. Seinen Empedokles lässt Hölderlin rufen: »Diß ist die Zeit der Könige nicht mehr!« Er hat sein Theaterstück zur Feier der vergeblich erhofften württembergischen Revolution nach dem Frühjahr 1799 nie zu Ende geschrieben. Es gab nun keinen Ort, es aufzuführen.

Napoleon Bonaparte wurde Kaiser der Franzosen. Die heroischen Jahre der großen Revolution - auch blutige Jahre, in denen schon sie ihre Kinder fraß - waren vorbei.

»Hyperion« von Friedrich Hölderlin

Hyperion

Hyperion

"Wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht wie Lebensluft ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und groß sind alle Herzen, und Helden gebiert die Begeisterung." Hölderlins "Hyperion" entfacht wahrhaftig eine freudige Erregung, ob der wunderschönen Sprache und der tiefen Reflexionen über die Frage nach der Selbstverwirklichung im Spannungsverhältnis von Ideal und Wirklichkeit. "Wie die Zephyre irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit selig umher. (...) Und all dies war die Sprache eines Wohlseins..."



"Die Sprache ist ein großer Überfluss. Das Beste bleibt doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe wie die Perle im Grunde des Meers.", schreibt Hyperion an Bellarmin. Friedrich Hölderlin macht diese Perle seinem Leser zugängig. Man muss gar nicht so tief nach ihr tauchen.

"Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns, wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt, sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählich waffenfähig wird."

Aus der Rückschau korrespondiert der Titelheld mit einem gewissen "Bellarmin" über Ereignisse in Griechenland zur Zeit der Griechisch-Türkischen Kriege. Eine große, rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal, ist Hyperion, dem literarischen Helden, zu Eigen, die das "Geschehen" in einem zentralen Konflikt leitet. Diotima und Alabander inszeniert Hölderlin als Kontrastfiguren, an denen sich Hyperion aufreizt. Da ist zum einen die Inbrunst an die Geliebte und Rückzug in das private Glück des Idylls versus militanter Einsatz für eine bessere Welt im Bund mit dem besten Freund.

Die Disharmonien und Kontroversen führen zur Auslöschung der Kontrastfiguren, so dass schließlich der desillusionierte Hyperion allein überlebt und in Deutschland unter all den "Barbaren von alters her (...), tief unfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien (...), dumpf und harmonielos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes" sein Credo resignativ gebrochen zu Papier bringen kann.

Es ist mehr eine psychologische Autobiographie, eines hochintelligenten und sensiblen Menschen, der sich hinter seiner "Fiktion" versteckt.

Wie Nietzsche ist Hölderlin wohl durch eine harte Kindheit gegangen, auch wenn er dies immer verleugnet hat, auch vor sich selbst (ersterer hat seinen Wut dann auf die Gesellschaft "entladen" und so wichtige Erkenntnisse gewonnen, letzterer ist der Wirklichkeit "entflohen"). Hier wurzelt dann auch sein Seelenleid, der dieses Genie leider von Innen aufgefressen hat. Was er in diesem Buch beschreibt, ist die typische Gefühlslage und Geschichte derartiger Menschen.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."


aus „Hyperion“, Friedrich Hölderlin
Was bleibt, ist ein Leben, welches die deutsche Sprache zumindest teilweise beeinflusst, aber noch viel mehr bereichert hat. Zu Lebzeiten vergessen, kam er danach zu Ruhm, doch heute ist er wieder nur ein obskurer Autor, da er schlicht und einfach kein massenkompatibles Werk hinterlassen hat. Das unterscheidet ihn von Goethe und Schiller, die aber - es tut mir leid - um einiges "langweiliger" sind. In einem anderen, besseren Leben wäre er vielleicht ein großer Naturforscher oder ähnliches geworden, und hätte sich nicht hinter der "Poesie" versteckt, um die Realität zu verdrängen!

Literatur:

Hyperion

Hyperion

Samstag, 21. Mai 2022

»Der Frühling« von Friedrich Hölderlin

Frühling





Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,
Die Tage kommen blütenreich und milde,
Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen
Vom Himmel abwärts, wo die Tag´ entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten
Wie eine Pracht, wo sich Feste verbreiten,
Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.

»Der Frühling« von Friedrich Hölderlin


Samstag, 14. Mai 2022

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin


Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.

Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.

Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.

Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.

Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.

Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber

Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.

Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 26. März 2022

»Der Frühling« von Friedrich Hölderlin

Frühling





Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,
Die Tage kommen blütenreich und milde,
Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen
Vom Himmel abwärts, wo die Tag´ entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten
Wie eine Pracht, wo sich Feste verbreiten,
Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.

»Der Frühling« von Friedrich Hölderlin


Donnerstag, 24. März 2022

Friedrich Hölderlin zieht in den Turm (K)

Friedrich Hölderlin


Für Friedrich Hölderlin wendete sich im Jahr 1807 das Schicksal zum Besseren. Er wurde aus der Autenrieth‘schen Anstalt in Tübingen als unheilbar entlassen und von dem Schreinermeister Zimmer für den Rest seines Lebens in einem Turmzimmer untergebracht. Nach Ansicht des Arztes sollte er noch höchstens drei Jahre zu leben haben, seine Zeit im Turm dauerte dann aber 36 Jahre - man kann von seiner zweiten Hälfte des „Lebens” sprechen.

Wie er in das Autenrieth‘sche Klinikum kam

Am 11. September 1806 wird Hölderlin von kräftigen Männern aus Homburg abgeholt. Er trug in dieser Zeit den Titel ‚Hofbibliothekar‘, die Anstellung begleitete er jedoch nur proforma, sie wurde von seinem treuen und aristokratischen Freund Isaak von Sinclair finanziert. Hölderlins Verhalten war schon in mehrfacher Hinsicht auffällig gewesen, Anfälle von Schwermut wechselten mit Zuständen voller Unruhe und Unrast. Schon ab 1801 wird von Hölderlins Zerfahrenheit, von Sprachmanieren und einer gewissen Geschraubtheit berichtet, in den weiteren Jahren lösten sich Phasen manischer Erregtheit (‚Katatonie‘) mit solchen tiefer Apathie (‚Stupor‘) ab. Die Psychiatrie späterer Jahrzehnte wird dafür zuerst den Begriff der dementia praecox (vorzeitige Verblödung) und schließlich den der Schizophrenie (1911) finden.
Als die kräftigen Männer ihn in Homburg abholten, leistete Hölderlin Widerstand und es wurde Gewalt angewendet. Für die einen war das ein krankheitstypischer Anfall von Tobsucht, andere jedoch vermuten, Hölderlin habe geglaubt, dass er aus politischen Gründen inhaftiert werden würde. Diese Befürchtung war insofern berechtigt, als sein Freund Sinclair wegen Verdachts auf Hochverrats festgesetzt worden war. Andererseits war es Sinclair selbst gewesen, der in einem Brief an die Mutter in Nürtingen von Hölderlins „zunehmendem Wahnsinn“ (August 1806) schreibt und sie dazu auffordert, den Sohn zu sich zu nehmen. So kann vermutet werden, dass Hölderlin auf Veranlassung Sinclairs und zu seinem eigenen Schutze nach Tübingen gebracht und in die dortige ‚Irrenanstalt‘ eingeliefert wurde.

Was ihm dort widerfuhr

Diese Irrenanstalt unter Leitung des Professors und späteren Kanzlers der Universität Tübingen, Johann Ferdinand von Autenrieth, stellte in ihrer Art etwas Neues dar, denn hier wurden Geisteskranke nicht mehr nur aufbewahrt, sondern einer eigenen Therapie unterzogen. Das darf als Fortschritt in der Geschichte der Psychiatrie gewertet werden. Auch verfügte das Klinikum über heizbare Räume und eine neuartige Luftumwälzkonstruktion, durch die frische Luft in die Krankenzimmer kam.
Die damaligen Therapien aber waren nach heutigen Maßstäben mehr Torturen als Kuren“: Kaltwasserbäder, Zwangsjacke, Gesichtsmaske stellten den einen Teil des Heilverfahrens dar, die Verabreichung von Beruhigungsmitteln (Digitalis, Opium, Belladonna) oder Reizmitteln den anderen Teil. Es ist nicht belegt, ob die Authenriet‘sche Maske oder die Zwangsjacke bei Hölderlin zum Einsatz kam, die Mixturen aus Fingerhut (Digitalis) und Tollkirsche (Belladonna) aber sehr wohl. Jedenfalls hat dies alles nicht zur Besserung seines Gesundheits- bzw. Geisteszustandes geführt, so dass Friedrich Hölderlin am 3. Mai 1807, nach 231 Tagen Klinikumsaufenthalt, als unheilbar aus der Anstalt entlassen und in die Obhut des Schreinermeisters Ernst Friedrich Zimmer gegeben wurde.

Hölderlin im Hause Zimmer

Dieser Schreinermeister war ein für damalige Verhältnisse gebildeter Mann, denn er las Bücher und mehr noch, er hatte Hölderlins Briefroman Hyperion“ gelesen und war begeistert.

Auch soll er von Kant, Fichte, Schelling, Novalis, Tieck und andern“ gesprochen haben, also von den angesagtesten und vielleicht schwierigsten Geistern der Zeit. Rückblickend schreibt Zimmer 1835, inzwischen zum Obermeister der Tübinger Schreinerzunft aufgestiegen:
„Ich besuchte Hölderlin im Clinikum und Bedauerte ihn sehr, daß ein so schönner Herlicher Geist zu Grund gehen soll. Da im Clinikum nichts weiter mit Hölderlin zu machen war, so machte der Canzler Autenrit mir den Vorschlag Hölderlin in mein Hauß aufzunehmen, er wüßte kein pasenderes Lokal.“ (StA 7,3, Nr. 528)

Er hatte das Haus am Neckar 1807 gerade erst erworben und im Erdgeschoss seine Schreinerei eingerichtet. Im Turm wurde ein Zimmer für Hölderlin hergerichtet, für Kost und Logis kam die Mutter in Nürtingen auf.
Der Student Wilhelm Waiblinger schreibt am 3. Juli 1822: „Wir stiegen eine Treppe hinauf, als uns gleich ein wunderhübsches Mädchen entgegentrat. Ich weiß nicht ob mich ein großes lebendiges Auge ... oder der allerliebste, zarte Hals und der junge, so liebliche Busen oder das Verhältnismäßige der kleinen Gestalt mehr entzückte, genug meine Blicke hingen trunken auf ihr, als sie uns fragte, zu wem wir wollten. Die Antwort ward uns erspart, denn eine offene Tür zeigte uns ein kleines, geweißnetes Amphi-theatralisches Zimmer, ohne allen gewöhnlichen Schmuck, worin ein Mann stand, der seine Hände in den nur bis zu den Hüften reichenden Hosen stecken hatte und unaufhörlich vor uns Complimente machte. Das Mädchen flüsterte, der ists!“ (StA 7,3)
Diese sicher sehr schwäbisch flüsternde Schönheit (der „isches“) war vielleicht Lotte Zimmer, des Schreinermeisters Tochter, zum damaligen Zeitpunkt neun Jahre alt. Sie widmete sich insbesondere nach dem Tode des Vaters dem kranken Dichter aufopfernd bis zu dessen Ende. Sie hat nie geheiratet und heute trägt eine Straße in Tübingen ihren Namen. Vater und Tochter schreiben in regelmäßigen Abständen Briefe an Hölderlins Mutter in Nürtingen, in denen sie den momentanen Zustand ihres Sohnes schildern und sich dabei auch für das Geld bedanken, das ihnen die Mutter allvierteljährlich zukommen lässt. So heißt es z.B. am 2. März 1813: „Hölderlin ist recht Brav und immer sehr Lustig. Die Pfeifenköpfe haben Ihn gefreudt die Sie die güte hatten mit zu schücken.“ Oder am 22. Februar 1814: „Ihr Lieber Hölderle ist so braf das mann Ihn nicht beßer wünschen kan.“ Und schließlich Lotte Zimmer am 17. Januar 1841 an Hölderlins Schwägerin: Ihr Herr Schwager ließ sich das überschickte recht wohl schmecken, Er befindet sich gegenwärtig recht wohl, ausgenommen daß Er Nachts oft sehr unruhig ist, was aber schon lange Jahre so ist ...“ (StA 7,3)

Wie es mit Hölderlin weiterging

Hölderlin verbrachte also den Rest seines Lebens im Turm. Er soll ein umgänglicher Bewohner gewesen sein, der sich sogar zu einer Attraktion für eine beträchtliche Zahl romantisch begeisterter Studenten entwickelte. Immer wieder kamen Besucher, die den armen irren Poeten im Turm sehen wollten. Hölderlin legte dann meist ein eilfertig unterwürfiges Verhalten an den Tag, verbeugte sich mehrfach tief und nannte die Gäste Excellenz und Majestät. Auf Wunsch verfasste er ein Gedicht, das Thema ließ er sich geben, dann stand er am Stehpult, skandierte mit der einen Hand das Metrum und schrieb mit der anderen Hand in kürzester Zeit ordentlich gereimte Verse. Diese unterschrieb er mit dem Namen Scardanelli oder Buonarotti und einem Fantasiedatum. Hier ein solches Gedicht, man beachte das Datum:

    Die Aussicht

    Der offne Tag ist Menschen hell mit Bildern,
    Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget,
    Noch eh‘ des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget,
    Und Schimmer sanft den Glanz des Tages mildern.

    Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt verschlossen,
    Des Menschen Sinn, von Zweifeln voll, verdrossen,
    Die prächtige Natur erheitert seine Tage,
    Und ferne steht des Zeifels dunkle Frage.

    Mit Unterthänigkeit
    Scardanelli
    d.24ten Merz
    1871

Vermutungen über die Gründe seines Geisteszustandes gibt es verschiedene und sehr unterschiedliche. Die Debatten währten bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, insbesondere angeregt durch die Thesen des französischen Hölderlin-Experten Pierre Berteaux: Ein revolutionär gesinnter Hölderlin, von der politischen Entwicklung in Deutschland enttäuscht, flüchtet sich bewusst in eine weltabgewandte Gedankenwelt hinein, um so der schlechten Wirklichkeit zu entkommen. Da diese These aber ein Thema für sich ist, soll hier kurzerhand Schluss gemacht werden mit dem letzten Satz aus Hölderlins Hyperion: „Nächstens mehr.“

Quellen:

Sonntag, 20. März 2022

Friedrich Hölderlin und der Einfluss auf seine Werke


Friedrich Hölderlin gilt als einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache, versiert in unterschiedlichen Kunstformen der Poesie, ein Dichter, der in unterschiedlichen schöpferischen Phasen seines Lebens verschiedenartige Poesieformen wie Oden, Elegien und Hymnen veröffentlichte. Zu seinen Hauptwerken gehören neben Gedichtbänden sein einziger Roman »Hyperion« (1797-99) und das Drama »Empedokles« (1798)

Friedrich Hölderlin Werke sind vom deutschen Idealismus und dem Geschichtsbild beeinflußt. Der Einfluss auf seine Werke

Zum allgemeinen Horizont von Hölderlins Werken gehören ihre deutlich hervortretenden theologischheilsgeschichtlichen Voraussetzungen, die geschichtliche Dimensionierung der Theodizee, ferner die Wandlung des geschichtsphilosophischen Denkens von Vokal= über Herder bis Hegel und das sich bereits abzeichnende Ende der Geschichtsphilosophie in der nachidealistischen Epoche des 19. Jahrhunderts. Ihr spezieller historischer Ort ist derjenige der idealistischen Geistphilosophie. Für sie ist die Geschichte die Selbstverwirklichung des Geistes und die Geschichtsbetrachtung selbst, wie Hegel wiederholt betont, eine säkulare Form der Theodizee, welche den denkenden Geist mit dem Negativen in der Geschichte versöhnt.

Fundamental ist ein entschieden teleologisches Denken, dem sich Geschichte noch nicht resignativ, wie später für Jacob Burckhardt, auf bloße Kontinuität reduziert, und erst recht nicht, wie für Goethe, als ein „Gewebe von Unsinn für den höheren Denker" und als eine „ungeheure Empirie" darbietet, deren Ungeheures in einem jede Sinnwahrnehmung obstruierenden Pluralismus weitgehend isolierter, jedenfalls aber sich nicht in eine Gesamtordnung fügender Geschehnisse liegt; ein teleologisches Denken, das sich vielmehr gerade angesichts der säkularen Skepsis und auch des scharfen Bruchs, den das epochale Ereignis der Französischen Revolution für das historische Bewußtsein bedeutete, bei Hölderlin noch einmal in einer äußersten Anstrengung artikuliert.

Freitag, 18. März 2022

Hölderlin und die beiden Hälften seines Lebens


Die ersten 36 Jahre seines Lebens hat der Dichter Friedrich Hölderlin in der Poesie und der Antike geschwelgt und die letzten 36 Jahre in dem Turm gelebt.


»Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.«

Erste Strophe des Gedichts »Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin, erstmals erschienen 1804 in Friedrich Wilmans Taschenbuch für das Jahr 1805.

»Hälfte des Lebens« ist das wohl berühmteste Gedicht Friedrich Hölderlins. Synchron zum Leben des heute vor 170 Jahren gestorbenen großen deutschen Dichters ist es zweigeteilt, in eine helle, bejahende Episode und eine dunkle, trostlose. Seine Zeitgenossen standen mit großer Ratlosigkeit vor der „Hälfte des Lebens“.

Christoph Theodor Schwab und Ludwig Uhland betrachteten die »Nachtgesänge«, zu denen das Gedicht gehört, als Produkte der Geisteskrankheit, die Hölderlin in der zweiten Lebenshälfte erfasste. Sie hielten diese Werke nicht würdig für den Hölderlin-Gedichtband, den sie 1826 herausbrachten, und übergingen sie schlichtweg. Auch im darauffolgenden Jahrhundert hatte sich an dieser Einschätzung nicht sonderlich viel geändert:

In der Werkausgabe von 1906 findet sich »Hälfte des Lebens« unter der Rubrik „Aus der Zeit des Irrsinns“. Und der Germanist Franz Zinkernagel beauftragte Anfang des 20. Jahrhunderts sogar einen Psychiater mit der Beantwortung der Frage, wann die Erkrankung Hölderlins begann. Alle Werke, die danach entstanden, wollte er von der geplanten Gesamtausgabe ausschließen.

Zweifel darüber, wie literarische Werke einzuordnen sind, die unter dem Einfluss einer psychischen Störung geschrieben wurden, haben ihre Berechtigung. In Bezug auf Hölderlin aber sollten diese Bedenken angesichts der großen Ausdrucksstärke und sprachlichen Schönheit seiner Literatur mühelos hinweggefegt werden. Oder, mit den Worten von Karl Jaspers gesprochen: „Es ist unfruchtbar, auf Hölderlin’sche Dichtungen grobe psychopathologische Kategorien anzuwenden.“

Die Ironie des Schickals ist, daß dieser freiheitsliebende Dichter die letzten 36 Jahre einsam in einem Turm verbracht hat.


Samstag, 12. März 2022

Im März

Im März (1794)

Noch kehrt in mich der süße Frühling wieder,
Noch altert nicht mein kindischfröhlich Herz,
Noch rinnt vom Auge mir der Tau der Liebe nieder
Noch lebt in mir der Hoffnung Lust und Schmerz.

Noch tröstet mich mit süßer Augenweide
Der blaue Himmel und die grüne Flur,
Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,
Die jugendliche freundliche Natur.

Getrost! es ist der Schmerzen wert, dies Leben,
So lang uns Armen Gottes Sonne scheint,
Und Bilder beßrer Zeit um unsre Seele schweben,
Und ach! mit uns ein freundlich Auge weint.

Friedrich Hölderlin