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Mittwoch, 20. März 2024

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.


»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.

Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.

Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen.


Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de

Blog-Artikel:

»Hälfe des Lebens« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog


Samstag, 16. März 2024

»An die Deutschen« von Friedrich Hölderlin


»Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch' und Sporn
Auf dem Rosse von Holz mutig und groß sich dünkt,
Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid
Tatenarm und gedankenvoll.

Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt,
Aus Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald?
O ihr Lieben, so nimmt mich,
Daß ich büße die Lästerung.«



Hölderlin reflektiert in diesem Gedicht die Position des deutschen Idealismus um 1800, denn auch dieser war tatenarm und gedankenvoll.


Samstag, 20. Januar 2024

»Der Winter« von Friedrich Hölderlin

Winter in der Waldheimat





Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Regenschauer.

Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.

»Der Winter« von Friedrich Hölderlin


Samstag, 16. Juli 2022

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin



Das Erntefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indes am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin

Video:

Friedrich Hölderlin: Der Sommer - Youtube

Samstag, 12. März 2022

Im März

Im März (1794)

Noch kehrt in mich der süße Frühling wieder,
Noch altert nicht mein kindischfröhlich Herz,
Noch rinnt vom Auge mir der Tau der Liebe nieder
Noch lebt in mir der Hoffnung Lust und Schmerz.

Noch tröstet mich mit süßer Augenweide
Der blaue Himmel und die grüne Flur,
Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,
Die jugendliche freundliche Natur.

Getrost! es ist der Schmerzen wert, dies Leben,
So lang uns Armen Gottes Sonne scheint,
Und Bilder beßrer Zeit um unsre Seele schweben,
Und ach! mit uns ein freundlich Auge weint.

Friedrich Hölderlin

Samstag, 10. Juli 2021

»Abendphantasie« von Friedrich Hölderlin

Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren izt die Schiffer zum Hafen auch,
In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
Geschäft´ger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh´ und Ruh
Ist alles freudig; warum schläft denn
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
Purpurne Wolken! und möge droben

In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb´und Leid!-
Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
Der Zauber; dunkel wirds und einsam
Unter dem Himmel, wie immer, bin ich -

Komm du nun, sanfter Schlummer! zuviel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedliche und heiter ist dann das Alter.

»Abendphantasie« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 12. Juni 2021

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin



Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.

Ihr teuren Ufer, die mich erzogen einst,
Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
Die mich behüteten einst, der Heimat

Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
Sterbliche singen, mir aus dem Busen.

Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 8. August 2020

»Kindheit« von Friedrich Hölderlin


Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir wie eine Blüte hing,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfing.
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Deine Stelle noch für meine Tränen,
Eine Welt für meine Liebe fand;

Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfingen goldne Tage mich.

Tot ist nun, die mich erzog und stillte,
Tot ist nun die jugendliche Welt,
Diese Brust, die einst ein Himmel füllte,
Tot und dürftig wie ein Stoppelfeld;
Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen
Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,
Aber hin ist meines Lebens Morgen,
Meines Herzens Frühling ist verblüht.

Ewig muß die liebste Liebe darben,
Was wir lieben, ist ein Schatten nur,
Da der Jugend goldne Träume starben,
Starb für mich die freundliche Natur;
Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,
Daß so ferne dir die Heimat liegt,
Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,
Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.


»Kindheit« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 18. Juli 2020

Friedrich Hölderlin und die Deutschen - Barbaren von Alters her?


Friedrich Hölderlin hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem deutschen Vaterland und so mangelt es auch nicht gerade an Deutschen-Schelte in seiner Lyrik.

Aus dem »Hyperion«: "So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefaßt, noch weniger zu finden. [...] Barbaren von Alters her, ..."

Hölderlin drängte es aus der Enge der bürgerlichen Konvention in die ferne Welt hinaus. Er sehnte sich nach einer Harmonie zwischen Mensch und Natur, wie er sie in einem idealisierten Bild des alten Griechenland erblickte und für die Zukunft wieder erhoffte.

Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister (»So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark«) träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde - Bellarmin.

Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Hölderlin war kein Philosoph, aktiver Weltverbesserer oder gar politischer Vordenker und taugt somit nicht als Ahnherr irgendwelcher späterer Denk- oder Gesellschaftssysteme, egal welcher Couleur. Letztendlich bleibt für uns heutige Menschen Hölderlins großartige Behandlung der deutschen Sprache, seine ungebändigte, nur schwer logisch oder gar akademisch zu deutende visionäre poetische Kraft: Ein genialer Dichter- nicht weniger, aber auch nicht mehr.



»Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt,
nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk.«


Friedrich Hölderlin: Hyperion an Bellarmin (1797)

In seinem Vortrag »Hölderlin und die Deutschen«(1915) sprach Norbert von Hellingrath, der Wiederentdecker Friedrich Hölderlins, von der „Doppelgesichtigkeit“ des deutschen Volks, die gerade jetzt, inmitten des Krieges, wieder besonders stark hervorzutreten scheine und für die vor allem Hölderlin einen besonderen Blick gehabt habe (Hellingrath 1922, S. 38).

Hellingrath hatte an der Universität München Germanistik studiert und 1909 in der Stuttgarter Bibliothek bisher unbekannte späte Hymnen und Pindar-Übertragungen Hölderlins entdeckt. Durch Vermittlung seines Freundes Karl Wolfskehl kam er ins Gespräch mit Stefan George, der ihm ermöglichte, seine spektakulären Funde in den Blättern für die Kunst zu veröffentlichen.

1912 begann Hellingrath mit der Herausgabe einer Hölderlin-Werkausgabe, deren erster Band im Jahr darauf erschien. Ihre Wirkung auf die literarische und wissenschaftliche Welt war außerordentlich. Ein bis dahin nur als Nebenfigur der Literaturgeschichte betrachteter Autor wurde mit einem Schlage als einer der bedeutendsten deutschen Dichter erkannt – wofür es in der deutschen Kulturgeschichte wohl nur eine Parallele gibt: die Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs durch Felix Mendelssohns Aufführung der Matthäus-Passion im Jahre 1829.

George erhob Hölderlin zu einem seiner ästhetischen Ahnherren und nahm Hellingrath in seinen Kreis auf. Ausgerechnet im Tumult des Krieges gelangten Hölderlins späte Gedichte und Fragmente ans Licht und bewegten die akademische Jugend so stark, dass sie nach den Worten von Klaus Mann glaubte, für ein „hölderlinsche[s] Deutschland […] sterben zu müssen“(Mann 1992, S. 199).

Der 1914 zum Kriegsdienst eingezogene Hellingrath kehrte im Frühjahr 1915 wegen eines Reitunfalls von der Front heim nach München. Hier hielt er in Anwesenheit unter anderem von Wolfskehl und Rainer Maria Rilke zwei Hölderlin-Vorträge, ehe er ins Feld zurückkehrte – und in der Schlacht um Verdun am 14. Dezember 1916, erst achtundzwanzigjährig, fiel. In seiner Rede »Hölderlin und die Deutschen«stellt er die Entdeckung Hölderlins vor den Hintergrund der antideutschen Kriegspropaganda:


Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Dies sei ein Beleg dafür, dass die Deutschen keine stabile Selbsteinschätzung kennen, „ihres eigenen Selbstgefühls nicht sicher sind, wenn sie es nicht vom Mund der Nachbarn ablesen können“ – seien sie doch nun einmal unter den europäischen Nationen Emporkömmlinge, die sich üblicherweise nach dem Urteil der anderen richten.

Hellingrath verweist nun auf die „seltsame Doppelheit, die Wesen und Rätsel des Deutschen ist“, die „Doppelgesichtigkeit unseres Volkes“. Hier taucht eine Formel auf, die für den George-Kreis und sein Deutschland-Bild bis ins Dritte Reich prägend sein wird und für die bei Hellingrath der Name Hölderlins steht: Der Kern des „deutschen Wesens“ trete lediglich „in einem geheimen Deutschland zutage“, nämlich „in Werken, die immer nur ganz wenigen ihr Geheimnis anvertrauen, ja den meisten Nicht-Deutschen wohl nie zugänglich sind“. Sei Johann Wolfgang Goethe von seiner sozialen Herkunft und schließlich erreichten Lebensstellung her der wahre Repräsentant eines der gebildeten Mehrheit zugänglichen Deutschland, so sei der sozial immer am Rande stehende Hölderlin der Künder jenes „geheimen Reiches“, das sich nur wenigen erschließt (wie etwa den Mitgliedern des ungenannten George-Kreises). Entsprechend gibt es für Hellingrath nicht nur das „Volk Goethes“, sondern auch – unter der Oberfläche, im Innern des Landes – das „Volk Hölderlins“ (Hellingrath 1922, S. 15ff).

Hellingrath kontrastiert Hölderlins Gedichte und Fragmente, die um dieses innere Deutschland kreisen, mit der „berühmten Strafrede des Hyperion“ gegen die Deutschen, „die ihm [Hölderlin] selbst gewiß noch weher getan hat als den Lesern, denn er hatte es erlebt, und dieser Zorn ist eben ein heller Widerschein seiner glühenden Liebe für das unglückliche Vaterland“ (ebd., S. 36). In Hyperions Brief an Bellarmin drückt sich nach Hellingrath der „Zusammenstoß“ des geheimen mit dem wirklichen Deutschland aus, „das damals nicht viel anders war als heute“ (ebd.).

In seiner Strafpredigt – einer der schärfsten, die je gegen die Deutschen gerichtet wurde – vermisst der Protagonist in Hölderlins Hyperion bei letzteren gerade das, was die deutschen „Dichter und Denker“ des späten 18. Jahrhunderts – Immanuel Kant und Friedrich Schiller zumal – in den Mittelpunkt ihres Denkens gestellt haben: die Interesselosigkeit des Schönen, die auf den ganzen Menschen zielende Bildung statt der Abrichtung auf zweck-, nutz- und fachbestimmte Fertigkeiten. Hyperions Rede, aus der einige Kernstellen zitiert seien, lesen sich wie ein Gegenbrief zu Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen mit ihrer Autonomieerklärung und Ganzheitsbestimmung des Menschen.

Weblink:

Barbaren von Alters her? - Friedrich Hölderlin und die Deutschen - www.lieraturkritik.de

Samstag, 4. Juli 2020

Die Gedichte Hölderlins

Die Gedichte Hölderlins



Die Gedichte Hölderlins zeugen von großer Sprache, hohem Gedenken und unerfüllter Sehnsucht. So dichtete er als graecomanischer Deutscher Hymnen etwa über den Neckar, den Rhein oder den Main und träumte derweil des Olymps oder griechischer Gestade am Ister. Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister ("So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark") träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde ("Bellarmin").

Er liebt die Gemahlin eines Bankiers in Frankfurt ("Susette Gontard" alias "Diotima"), in dessen Hause er als privater Hauslehrer arbeitet. Sie ist seiner idealisierenden Liebe nicht abgeneigt, verweigert jedoch aus bürgerlicher Sicherheitssucht die Scheidung. So wird er entlassen und muss am Ende bis nach Bordeaux gehen, um eine neue Anstellung zu finden. Dort schreibt er sein schönstes Gedicht: "Andenken" (anno 1804). Unvergessen ist seine Liebe, ungefunden der Sinn der Trennung, und Alles wird verzerrt und verschoben.

"Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

Es reiche aber,
des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; den süß
Wär unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein."


Diese "sterblichen Gedanken" beginnen mit den Buchstaben 'S' und 'G' wie der Name der geliebten Susette Gontard. Vielleicht ist dies nur ein Zufall, aber bei Hölderlin scheint eigentlich nichts nur ein Zufall zu sein, denn:

"(...) Es nehmet aber
Und giebt Gedächtniss die See,
Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter."


Ein als höheres Geschick dargestelltes Sein verhilft sogar der niederigen materiellen Armut eines in jeder ideellen Hinsicht verunglückten Deutschen zu göttlichen Ehren. Und das ist am Ende sogar gerecht, denn dieser darbende Dichter stiftete ja tatsächlich etwas schönes Bleibendes!



Samstag, 2. Mai 2020

»Der Tod fürs Vaterland« von Friedrich Hölderlin



»Der Tod fürs Vaterland« ist der Titel einer Ode von Friedrich Hölderlin, die Christian Ludwig Neuffer 1800 mit weiteren Gedichten in seinem Taschenbuch für Frauenzimmer von Bildung herausgab. Sie umfasst sechs Strophen und hat alkäisches Versmaß.

Die Verse zeigen den Einfluss der Französischen Revolution auf sein Denken und seine politische Dichtung. Diese heroische Ode ist eigentlich eine verkappte Freiheitsode.

Das Werk hatte eine unheilvolle Wirkungsgeschichte und gehörte neben dem Gesang des Deutschen zu den meistzitierten Gedichten Hölderlins während der Zeit des Nationalsozialismus.


»Du kömmst, o Schlacht! schon wogen die Jünglinge
Hinab von ihren Hügeln, hinab ins Tal,
Wo keck herauf die Würger dringen,
Sicher der Kunst und des Arms, doch sichrer

Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,
Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,
Und ihre Vaterlandsgesänge
Lähmen die Kniee den Ehrelosen.

O nehmt mich, nehmt mich mit in die Reihen auf,
Damit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!
Umsonst zu sterben, lieb ich nicht, doch
Lieb ich, zu fallen am Opferhügel

Fürs Vaterland, zu bluten des Herzens Blut
Fürs Vaterland – und bald ists geschehn! Zu euch,
Ihr Teuern! komm ich, die mich leben
Lehrten und sterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte dürstet' ich euch zu sehn,
Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!
Nun grüßt ihr freundlich den geringen
Fremdling, und brüderlich ists hier unten;

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,
Und zähle nicht die Toten! Dir ist,
Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.«

»Der Tod fürs Vaterland« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 18. April 2020

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.
Die Elegie »Brod und Wein« entstand etwa um 1800 und ist nach Rüdiger Safranski und nach meiner Meinung das vielleicht schönste Gedicht Hölderlins. Die erste von neun Strophen lautet:

»Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.«


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Blog-Artikel:

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog

Samstag, 4. April 2020

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin






Den Dichter Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.




»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.


Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.

Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter
Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen. Die zweite Hälfte, psychisch krank, in sich verschlossen, verbrachte er in Tübingen, im Hölderlinturm: »Die Mauern stehn /Sprachlos und kalt, im Winde/klirren die Fahnen.«




Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.




Das Gedicht erschienen zuerst im »Taschenbuch für das Jahr 1805« zusammen mit acht anderen Gedichten Hölderlins unter dem Titel »Nachtgesänge«.

Charakteristisch für das Gedicht ist der unvermittelt bleibende Gegensatz, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Der harmonischen geschlossenen Form und Bilderwelt der ersten Strophe steht die Zerrissenheit der zweiten Strophe gegenüber, die Zeilenlängen sind unregelmäßig, die Zeilen stehen mit der Satzgrammatik im Konflikt. Gegenüber der sich selbst genügenden Natur in der ersten Strophe ist das lyrische Ich in der zweiten Strophe rein beobachtend. Es hat an dieser Harmonie keinen Anteil außer dem des Anschauens.

Die elegische Selbstreflexion in der zweiten Hälfte des Gedichtes drückt das Gefühl äußerster Vereinsamung aus, die Dinge sind zu Zeichen erstarrt, die nichts bedeuten, nur Kälte und Starre ausstrahlen. Das lyrische Ich weiß nicht, wie es zur Welt steht, es ist auf sich selbst zurückgeworfen und verloren in seiner grundlosen Subjektivität.

Das Gedicht versucht nicht, die Trennung von Welt und Ich in einer höheren Idee aufzuheben, vielmehr wird die existentielle Heimat- und Ratlosigkeit des Menschen als Daseinsbefund offen gelassen. Darin steht das Gedicht außerhalb der ästhetischen Norm seiner Zeit: Es zeigt nicht jene Autonomie der Kunst gegenüber einer schlechten Wirklichkeit, von der aus dem Künstler die Versöhnung von Ideal und Leben im Reiche des ästhetischen Schein gelingt. Der Verfasser solcher Zeilen bleibt vielmehr im schmerzlich Empfundenen stecken, befreit sich nicht aus dessen Unmittelbarkeit und legt somit den Verdacht unzureichender ästhetischer Schaffenskraft, wenn nicht gar, wie wir sehen werden, nachlassender Geisteskraft, nahe.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte

Sämtliche Gedichte und Hyperion von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de

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Samstag, 28. März 2020

Das Sehnen nach dem Frühling




»Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und großen Taten,
wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt?«

»Hyperion oder der Eremit in Griechenland« von Friedrich Hölderlin