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Montag, 20. März 2023

Hölderlins Leben


Hölderlin war ein begabter junger Dichter mit überragendem Talent und hohen Ambitionen, der zur falschen Zeit im falschen Land gelebt hat. Wer keine Förderer und Gönner im Leben gefunden hat - wie die Dichter Herder, Wieland, Goethe und Schiller am Fürstenhof in Weimar, von seinem Landesherren vertrieben wurde, sich als Hauslehrer verdingen musste und zu allem Überfluß auch noch unglücklich in eine Bankiersgattin verliebte, der kann im Grunde nur noch tragisch - wie Kleist - enden.

Hölderlins Werk lässt sich, ebenso wenig wie das von Heinrich von Kleist, in eine Schublade stecken. Er lebte und schrieb, als die später als Weimarer Klassik und Romantik bezeichneten Literaturgattungen en vogue waren. Doch entwickelte er, unabhängig von allen zeitlichen Einflüssen, seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil. Doch wäre es nach seiner Mutter gegangen, wäre Hölderlin Pfarrer geworden.

Ihr zuliebe studierte er zwar Theologie, wollte aber keine kirchliche Laufbahn einschlagen, sondern verdingte sich als Hauslehrer von Kindern reicher Familien. Hölderlin hatte das Vergnügen, regelmäßigen Umgang mit der geistigen Elite seiner Zeit zu pflegen. Er schloss während des Studiums Freundschaft mit Hegel und Schelling, hatte Kontakte zu Goethe, Schiller und Friedrich von Hardenberg (Novalis). Mit dem Diplomaten und Schriftsteller Isaac von Sinclair war er befreundet und teilte sich mit ihm für kurze Zeit ein Gartenhäuschen in Jena.

Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, war glühender Republikaner, für den die Französische Revolution, die er mit 19 erlebte, ein Erweckungserlebnis war, das für sein ganzes Leben bestimmend blieb.

Er litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt (Hölderlin) und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen (beide), verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Er liebt (oder träumt zu lieben?) die Gemahlin eines Banciers in Frankfurt ("Susette Gontard" alias "Diotima"), in dessen Hause er als privater Hauslehrer arbeitet. Sie ist seiner idealisierenden Liebe nicht abgeneigt, verweigert jedoch aus bürgerlicher Sicherheitssucht die Scheidung. So wird er entlassen und muss am Ende bis nach Bordeaux gehen, um eine neue Anstellung zu finden.

Sein eigener Geist ließ ihn jedoch im Stich. Er war Ende 20, als er zunehmend ein Verhalten an den Tag legte, das Menschen, die sich als normal betrachten, als seltsam bezeichnen würden. 1795 etwa kehrte er der Stadt Jena überstürzt den Rücken, wohl aus der Angst heraus, sein großes Vorbild Schiller enttäuscht zu haben. Er fühlte sich ihm gegenüber in die Rolle des hilflosen Schülers versetzt. Verwirrt und mit Zeichen der Verwahrlosung kehrte er zurück zu seiner Mutter nach Nürtingen.

Wenig später wurde ihm die Diagnose einer schweren Hypochondrie gestellt. 1802 erhielt er eine Anstellung als Hauslehrer in Bordeaux, kehrte aber bereits nach wenigen Monaten aus ungeklärten Gründen und wiederum in verwirrtem Zustand zurück.

Mit seinem eigenartigen Verhalten eckte Hölderlin zunehmend an. Gegen seinen Willen wurde er schließlich 1806 ins Universitätsklinikum Tübingen eingeliefert. Es ist wahrscheinlich, dass der Dichter an einer Schizophrenie litt, eine Erkrankung, die zur damaligen Zeit noch gar nicht in den Psychiatrie-Lehrbüchern beschrieben war. Diagnostiziert wurde ihm eine „Manie als Nachkrankheit der Krätze“. Viel über die Behandlung, die er in der Klinik erfuhr, ist heute nicht bekannt, es ist aber davon auszugehen, dass sie seiner Gesundheit eher abträglich war. Ein Jahr später hieß es, Hölderlin sei „unheilbar“ und werde wohl nur noch wenige Jahre zu leben haben.

Da hatte der Arzt die Rechnung ohne den Dichter gemacht. Hölderlin kam in Pflege zur Familie des Tübinger Tischlers Ernst Zimmer, der dessen Briefroman „Hyperion“ bewunderte. Im Kreis dieser Familie fühlte sich der Poet offenbar wohl. Er begann wieder zu schreiben, spielte Klavier und erhielt des Öfteren Besuch in seinem Zimmer im Turm. Ganze 36 Jahre lebte Hölderlin bei den Zimmers, ehe er am 7. Juni 1843 im Alter von 73 Jahren ohne Anzeichen einer körperlichen Erkrankung starb.

Die Zweifel, die Literaturwissenschaftler lange Zeit an der Qualität des Hölderlin’schen Spätwerks hegten, sind mittlerweile zum Glück ausgeräumt. Vielmehr belegen aktuelle Forschungen die hohe Qualität seines Schaffens in der zweiten Hälfte des Lebens.

Samstag, 23. Juli 2022

Hölderlin war eine tragische Figur



Friedrich Hölderlin war eine tragische Figur, dessen Schicksal von dem Niedergang eines gebrochenen Mannes kündet.

Ab Juni 1804, nach der Rückkehr aus Bordeaux und einem schwierigen Aufenthalt in Nürtingen, lebte Hölderlin erneut in Homburg, Sinclair hatte ihm eine - von Sinclair selbst bezahlte - Stelle als Hofbibliothekar verschafft. Politische Wirren um die Neuordnung Europas, eine Verleumdungsklage gegen Sinclair wegen Hochverrats und die zunehmende Labilität Hölderlins verkomplizierten die Situation.

Am 11. September 1806 wurde Hölderlin gegen seinen Willen nach Tübingen in die Autenriethsche Klinik gebracht.
Friedrich Hölderlin kam ab 1807 zur Pflege bei der Tübinger Tischlerfamilie Ernst Zimmers.
In den letzten 36 Jahren lebte er in deren Haus in einer Teestube oberhalb des Neckartals, heute als Hölderlinturm bekannt.

Misshandlungen während der 231-tägigen Zwangsbehandlung im Krankenhaus, der von Autenrieth geleiteten Klapse, führten dazu, daß Hölderlin danach ein zum psychischen Krüppel Geschlagener war. Einer, der sich in sich zurückzog, mit der Außenwelt nicht mehr oder kaum noch kommunizierte. Keinesfalls aber war Hölderlin ein Umnachteter, Schwachsinniger.

Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung.

Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) gilt heute zwar als einer der größten deutschen Dichter, erlebte diese Geltung jedoch vor seinem Tode nicht. Sozusagen "entdeckt" wurde er - wie auch Friedrich Nietzsche - erst nach dem Ersten Weltkrieg, also erst beinahe achtzig Jahre nach seinem Sterben. "Manche Menschen werden posthum geboren." (O-Ton Nietzsche).

Samstag, 16. Juli 2022

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin



Das Erntefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indes am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin

Video:

Friedrich Hölderlin: Der Sommer - Youtube

Samstag, 18. Juni 2022

»Hyperion« von Friedrich Hölderlin

Hyperion

Hyperion

"Wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht wie Lebensluft ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und groß sind alle Herzen, und Helden gebiert die Begeisterung." Hölderlins "Hyperion" entfacht wahrhaftig eine freudige Erregung, ob der wunderschönen Sprache und der tiefen Reflexionen über die Frage nach der Selbstverwirklichung im Spannungsverhältnis von Ideal und Wirklichkeit. "Wie die Zephyre irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit selig umher. (...) Und all dies war die Sprache eines Wohlseins..."



"Die Sprache ist ein großer Überfluss. Das Beste bleibt doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe wie die Perle im Grunde des Meers.", schreibt Hyperion an Bellarmin. Friedrich Hölderlin macht diese Perle seinem Leser zugängig. Man muss gar nicht so tief nach ihr tauchen.

"Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns, wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt, sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählich waffenfähig wird."

Aus der Rückschau korrespondiert der Titelheld mit einem gewissen "Bellarmin" über Ereignisse in Griechenland zur Zeit der Griechisch-Türkischen Kriege. Eine große, rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal, ist Hyperion, dem literarischen Helden, zu Eigen, die das "Geschehen" in einem zentralen Konflikt leitet. Diotima und Alabander inszeniert Hölderlin als Kontrastfiguren, an denen sich Hyperion aufreizt. Da ist zum einen die Inbrunst an die Geliebte und Rückzug in das private Glück des Idylls versus militanter Einsatz für eine bessere Welt im Bund mit dem besten Freund.

Die Disharmonien und Kontroversen führen zur Auslöschung der Kontrastfiguren, so dass schließlich der desillusionierte Hyperion allein überlebt und in Deutschland unter all den "Barbaren von alters her (...), tief unfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien (...), dumpf und harmonielos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes" sein Credo resignativ gebrochen zu Papier bringen kann.

Es ist mehr eine psychologische Autobiographie, eines hochintelligenten und sensiblen Menschen, der sich hinter seiner "Fiktion" versteckt.

Wie Nietzsche ist Hölderlin wohl durch eine harte Kindheit gegangen, auch wenn er dies immer verleugnet hat, auch vor sich selbst (ersterer hat seinen Wut dann auf die Gesellschaft "entladen" und so wichtige Erkenntnisse gewonnen, letzterer ist der Wirklichkeit "entflohen"). Hier wurzelt dann auch sein Seelenleid, der dieses Genie leider von Innen aufgefressen hat. Was er in diesem Buch beschreibt, ist die typische Gefühlslage und Geschichte derartiger Menschen.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."


aus „Hyperion“, Friedrich Hölderlin
Was bleibt, ist ein Leben, welches die deutsche Sprache zumindest teilweise beeinflusst, aber noch viel mehr bereichert hat. Zu Lebzeiten vergessen, kam er danach zu Ruhm, doch heute ist er wieder nur ein obskurer Autor, da er schlicht und einfach kein massenkompatibles Werk hinterlassen hat. Das unterscheidet ihn von Goethe und Schiller, die aber - es tut mir leid - um einiges "langweiliger" sind. In einem anderen, besseren Leben wäre er vielleicht ein großer Naturforscher oder ähnliches geworden, und hätte sich nicht hinter der "Poesie" versteckt, um die Realität zu verdrängen!

Literatur:

Hyperion

Hyperion

Samstag, 10. Juli 2021

»Abendphantasie« von Friedrich Hölderlin

Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren izt die Schiffer zum Hafen auch,
In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
Geschäft´ger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh´ und Ruh
Ist alles freudig; warum schläft denn
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
Purpurne Wolken! und möge droben

In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb´und Leid!-
Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
Der Zauber; dunkel wirds und einsam
Unter dem Himmel, wie immer, bin ich -

Komm du nun, sanfter Schlummer! zuviel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedliche und heiter ist dann das Alter.

»Abendphantasie« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 12. Juni 2021

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin



Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.

Ihr teuren Ufer, die mich erzogen einst,
Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
Die mich behüteten einst, der Heimat

Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
Sterbliche singen, mir aus dem Busen.

Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 10. Oktober 2020

Hölderlin-Rezeption

Holderlinjahr 2020


Ferner war er den Deutschen nie. Doch um ermessen zu können, hinter welchen Schleiern und durch welche Verzerrungen hindurch Friedrich Hölderlin heute zu den Wenigen spricht, die er in Bann schlägt, müsste man auch die Nähe nachempfinden, aus der sich einmal die Vielen ergriffen fühlten.

Frühere Leser waren mangels anderer Suchtstoffe für die prophetische Vagheit seiner Vision, deren rauschhafte Suggestivität auf einer rhythmischen Sprache von zwingender Genauigkeit beruht, vermutlich empfänglicher. Sicher gelang es ihnen aber auch besser, die Leerstelle zwischen Götterferne und der Aussicht auf einen „kommenden Gott“, die jede Generation auf ihre Weise herausfordert, mit Sinn zu füllen.

Hölderlin zu lesen, heißt deshalb mehr als für jeden anderen deutschen Dichter, seine Rezeptionsgeschichte mitzulesen. Das „weltanschauliche Gegrabsche“, das Karl-Heinz Ott in „Hölderlins Geister“ (Hanser 2019), einer brillanten Folge von Miniaturen und Kurzessays, nachzeichnet, ist keine Nebensache.


Das Vaterland ist treulos dir geworden - www.tagesspiegel.de/kultur


Hölderlins Werk lässt sich, ebenso wenig wie das von Heinrich von Kleist, in eine Schublade stecken. Er lebte und schrieb, als die später als Weimarer Klassik und Romantik bezeichneten Literaturgattungen en vogue waren. Doch entwickelte er, unabhängig von allen zeitlichen Einflüssen, seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil.

Friedrich Hölderins Werk hat über die Jahrhunderte hinweg eine ganz unterschiedliche Rezeption erfahren. Immer wieder wurde er dabei auch falsch interpretiert.

Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern. Rüdiger Safranskis Biografie gelingt das auf bewundernswerte Weise.



Sehr lesenswerter Artikel über die unterschiedliche Hölderlin-Rezeption über die Jahrhunderte

Friedrich Hölderlin gehört zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Er hat neben dem »Hyperion« vor allem große Hymnen und Elegien geschaffen und eine außerordentliche poetische Strahlkraft entwickelt.

Die Deutschen verlangen offenbar immer noch nach Hölderlin, allerdings auch immer noch nach einem präparierten, einem dem Zeitgeist angepaßten Hölderlin. Und kein anderer Dichter läßt sich anscheinend so leicht für jede Laune des Zeitgeists reklamieren.

Friedrich Hölderlin hat mit seiner Dichtung im Sinne des deutschen Idealismus zahlreiche Geister ganz unterschiedlicher Coleur heraufbeschworen, die immer wieder versucht haben, den Dichter für sich zu vereinnahmen und für ihre Zwecke politisch zu instrumentalisieren.

Einerseits von Anfang an als deutschester unter den deutschen Dichtern gefeiert und gleich auch so etwas wie Religionsersatz, waren Ablehnung und Verkennung andererseits seine ständigen Begleiter.

Das begann mit Goethe, der riet, doch lieber kleinere, niedliche Gedichte statt der ausufernden hymnischen zu verfertigen. Und das ging weiter mit Friedrich Theodor Vischer, der über Hölderlin befand: "Sein Geist hatte zu wenig vom Harten; es fehlte ihm als Waffe der Humor; er konnte es nicht ertragen, daß man noch kein Barbar ist, wenn man Philister ist" (Nietzsche hat Vischer darauf beißend geantwortet: "Ersichtlich will der Ästhetiker uns sagen: Man kann Philister sein und doch Kulturmensch ...").

Nach den Philistern waren es die Übermenschen, die Elitebewußten, in deren Hände Hölderlin fiel: Vor allem der George-Kreis stilisierte ihn zum entrückten deutschen Parsifal; und nachdem sein erster wissenschaftlicher Editor, Norbert von Hellingrath, vor Verdun gefallen war, avancierte Hölderlin zum Symbol des vaterländischen Opfertodes.

Als dieses mußte er noch einmal im 2. Weltkrieg herhalten, wo die Landser neben der Feldpostausgabe von Rilkes "Cornet" auch die des "Hyperion" im Tornister nach Rußland schleppten. im festen Glauben, Hölderlins Welt gegen die anstürmenden bolschewistischen Barbaren zu verteidigen. Aber sie fielen nicht für Hölderlins Vaterland, sondern für den faschistischen Führer, dem Hanns Johst zum 50. Geburtstag aus dem "Hyperion" zitieren mußte.

Freilich, auch Stauffenberg berief sich auf Hölderlin, als er die Waffe gegen Hitler richtete, aber auch das Vaterland, das er und seine Freunde wollten, hätte mit dem Hölderlins (der geschrieben hatte, es sei "die erste Bedingung alles Lebens und aller Organisation, daß keine Kraft monarchisch ist") aber auch gar nichts zu tun gehabt.

Selbst als alles in Scherben lag, 1945, ging noch ein Sturm der Entrüstung durch das deutsche Bildungsbürgertum, als Günter Eichs Gedicht aus dem Gefangenencamp bekannt wurde, in dem sich Hölderlin auf Urin reimte. Da zog man doch Heideggers Hölderlin-Geraune vor, den Seher wollte man sich auf keinen Fall rauben lassen -- und sei es nun auch einer des Untergangs.

Mit dem vermeintlich revolutionären Aufbruch von 1968 änderte sich prompt auch das Hölderlin-Bild: Jetzt entdeckte man plötzlich (mit Hilfe des französischen Germanisten Pierre Bertaux) den Jakobiner Hölderlin, und der "schönheitstrunkene Schwärmer" (Eduard Spranger) wurde abserviert.

Weblink:

„Des hat uns grad ne g?fehlt!“ - DER SPIEGEL 49/1976



Samstag, 8. August 2020

»Kindheit« von Friedrich Hölderlin


Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir wie eine Blüte hing,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfing.
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Deine Stelle noch für meine Tränen,
Eine Welt für meine Liebe fand;

Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfingen goldne Tage mich.

Tot ist nun, die mich erzog und stillte,
Tot ist nun die jugendliche Welt,
Diese Brust, die einst ein Himmel füllte,
Tot und dürftig wie ein Stoppelfeld;
Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen
Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,
Aber hin ist meines Lebens Morgen,
Meines Herzens Frühling ist verblüht.

Ewig muß die liebste Liebe darben,
Was wir lieben, ist ein Schatten nur,
Da der Jugend goldne Träume starben,
Starb für mich die freundliche Natur;
Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,
Daß so ferne dir die Heimat liegt,
Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,
Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.


»Kindheit« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 18. Juli 2020

Friedrich Hölderlin und die Deutschen - Barbaren von Alters her?


Friedrich Hölderlin hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem deutschen Vaterland und so mangelt es auch nicht gerade an Deutschen-Schelte in seiner Lyrik.

Aus dem »Hyperion«: "So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefaßt, noch weniger zu finden. [...] Barbaren von Alters her, ..."

Hölderlin drängte es aus der Enge der bürgerlichen Konvention in die ferne Welt hinaus. Er sehnte sich nach einer Harmonie zwischen Mensch und Natur, wie er sie in einem idealisierten Bild des alten Griechenland erblickte und für die Zukunft wieder erhoffte.

Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister (»So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark«) träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde - Bellarmin.

Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Hölderlin war kein Philosoph, aktiver Weltverbesserer oder gar politischer Vordenker und taugt somit nicht als Ahnherr irgendwelcher späterer Denk- oder Gesellschaftssysteme, egal welcher Couleur. Letztendlich bleibt für uns heutige Menschen Hölderlins großartige Behandlung der deutschen Sprache, seine ungebändigte, nur schwer logisch oder gar akademisch zu deutende visionäre poetische Kraft: Ein genialer Dichter- nicht weniger, aber auch nicht mehr.



»Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt,
nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk.«


Friedrich Hölderlin: Hyperion an Bellarmin (1797)

In seinem Vortrag »Hölderlin und die Deutschen«(1915) sprach Norbert von Hellingrath, der Wiederentdecker Friedrich Hölderlins, von der „Doppelgesichtigkeit“ des deutschen Volks, die gerade jetzt, inmitten des Krieges, wieder besonders stark hervorzutreten scheine und für die vor allem Hölderlin einen besonderen Blick gehabt habe (Hellingrath 1922, S. 38).

Hellingrath hatte an der Universität München Germanistik studiert und 1909 in der Stuttgarter Bibliothek bisher unbekannte späte Hymnen und Pindar-Übertragungen Hölderlins entdeckt. Durch Vermittlung seines Freundes Karl Wolfskehl kam er ins Gespräch mit Stefan George, der ihm ermöglichte, seine spektakulären Funde in den Blättern für die Kunst zu veröffentlichen.

1912 begann Hellingrath mit der Herausgabe einer Hölderlin-Werkausgabe, deren erster Band im Jahr darauf erschien. Ihre Wirkung auf die literarische und wissenschaftliche Welt war außerordentlich. Ein bis dahin nur als Nebenfigur der Literaturgeschichte betrachteter Autor wurde mit einem Schlage als einer der bedeutendsten deutschen Dichter erkannt – wofür es in der deutschen Kulturgeschichte wohl nur eine Parallele gibt: die Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs durch Felix Mendelssohns Aufführung der Matthäus-Passion im Jahre 1829.

George erhob Hölderlin zu einem seiner ästhetischen Ahnherren und nahm Hellingrath in seinen Kreis auf. Ausgerechnet im Tumult des Krieges gelangten Hölderlins späte Gedichte und Fragmente ans Licht und bewegten die akademische Jugend so stark, dass sie nach den Worten von Klaus Mann glaubte, für ein „hölderlinsche[s] Deutschland […] sterben zu müssen“(Mann 1992, S. 199).

Der 1914 zum Kriegsdienst eingezogene Hellingrath kehrte im Frühjahr 1915 wegen eines Reitunfalls von der Front heim nach München. Hier hielt er in Anwesenheit unter anderem von Wolfskehl und Rainer Maria Rilke zwei Hölderlin-Vorträge, ehe er ins Feld zurückkehrte – und in der Schlacht um Verdun am 14. Dezember 1916, erst achtundzwanzigjährig, fiel. In seiner Rede »Hölderlin und die Deutschen«stellt er die Entdeckung Hölderlins vor den Hintergrund der antideutschen Kriegspropaganda:


Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Dies sei ein Beleg dafür, dass die Deutschen keine stabile Selbsteinschätzung kennen, „ihres eigenen Selbstgefühls nicht sicher sind, wenn sie es nicht vom Mund der Nachbarn ablesen können“ – seien sie doch nun einmal unter den europäischen Nationen Emporkömmlinge, die sich üblicherweise nach dem Urteil der anderen richten.

Hellingrath verweist nun auf die „seltsame Doppelheit, die Wesen und Rätsel des Deutschen ist“, die „Doppelgesichtigkeit unseres Volkes“. Hier taucht eine Formel auf, die für den George-Kreis und sein Deutschland-Bild bis ins Dritte Reich prägend sein wird und für die bei Hellingrath der Name Hölderlins steht: Der Kern des „deutschen Wesens“ trete lediglich „in einem geheimen Deutschland zutage“, nämlich „in Werken, die immer nur ganz wenigen ihr Geheimnis anvertrauen, ja den meisten Nicht-Deutschen wohl nie zugänglich sind“. Sei Johann Wolfgang Goethe von seiner sozialen Herkunft und schließlich erreichten Lebensstellung her der wahre Repräsentant eines der gebildeten Mehrheit zugänglichen Deutschland, so sei der sozial immer am Rande stehende Hölderlin der Künder jenes „geheimen Reiches“, das sich nur wenigen erschließt (wie etwa den Mitgliedern des ungenannten George-Kreises). Entsprechend gibt es für Hellingrath nicht nur das „Volk Goethes“, sondern auch – unter der Oberfläche, im Innern des Landes – das „Volk Hölderlins“ (Hellingrath 1922, S. 15ff).

Hellingrath kontrastiert Hölderlins Gedichte und Fragmente, die um dieses innere Deutschland kreisen, mit der „berühmten Strafrede des Hyperion“ gegen die Deutschen, „die ihm [Hölderlin] selbst gewiß noch weher getan hat als den Lesern, denn er hatte es erlebt, und dieser Zorn ist eben ein heller Widerschein seiner glühenden Liebe für das unglückliche Vaterland“ (ebd., S. 36). In Hyperions Brief an Bellarmin drückt sich nach Hellingrath der „Zusammenstoß“ des geheimen mit dem wirklichen Deutschland aus, „das damals nicht viel anders war als heute“ (ebd.).

In seiner Strafpredigt – einer der schärfsten, die je gegen die Deutschen gerichtet wurde – vermisst der Protagonist in Hölderlins Hyperion bei letzteren gerade das, was die deutschen „Dichter und Denker“ des späten 18. Jahrhunderts – Immanuel Kant und Friedrich Schiller zumal – in den Mittelpunkt ihres Denkens gestellt haben: die Interesselosigkeit des Schönen, die auf den ganzen Menschen zielende Bildung statt der Abrichtung auf zweck-, nutz- und fachbestimmte Fertigkeiten. Hyperions Rede, aus der einige Kernstellen zitiert seien, lesen sich wie ein Gegenbrief zu Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen mit ihrer Autonomieerklärung und Ganzheitsbestimmung des Menschen.

Weblink:

Barbaren von Alters her? - Friedrich Hölderlin und die Deutschen - www.lieraturkritik.de

Hölderlins Beschwörung des antiken Griechenland


Hölderlin schwärmte auf dem Höhepunkt seines Schaffens von einer Rückkehr in die Antike, in der Menschen mit der Natur eine Einheit bilden. Griechenland war geradezu der Gegenentwurf der engen bürgerlichen Welt, in der Hölderlin sein Dasein fristete.

"Daß Hölderlin trotz seiner Einsamkeit sein hellenisches Ideal durchhielt, ohne Kompromiß und ohne böse oder stumpfe Verzweiflung, mutig und selig trotz der Verbannung aus seiner inneren Heimat, glühend inmitten des Frostes und der Öde, königlich und heilig trotz der deutschen Hauslehrermisere: das macht ihn zu einem unserer heroischen Menschen."
Friedrich Gundolf, Literaturwissenschaftler (1880-1931)

Hölderlin brauchte Griechenland nicht als Fluchtort, sondern als Imaginationsraum, an dem er aufzeigen kann, welche entscheidenden Seinsqualitäten im Lauf des Geschichts- und Kulturprozesses verloren gingen und was die Zukunft wiederherstellen muss. Hölderlin brauchte Griechenland als Projektionsfläche für seine ideale Vorstellung des Menschentums.

Der bürgerlichen Welt zu Beginn des 19. Jahrhunderts fehlte der Sinn für das Leben und die Schöpfung. Verloren ist vor allem die ursprüngliche ungeteilte Einheit allen Seins, die "durch Götternähe erfüllte" Epoche der Menschheit. Verloren ist ein Idealzustand, den die griechische Philosophie mit "hen kai pan", mit "alles ist eins" umschreibt.

Es brauchte Hölderlins Beschwörung des antiken Griechenlands und seiner Götter, das einen starken Kontrast zu diesem trostlosen Zeitbefund setzte. Seine Beschwörung Griechenlands zeigt, was einst war und wieder werden soll.

Es herrscht eine große Öde in der materialisierten und ermüdeten - ja auch gedanklich erschöpfen - Gesellschaft und so müssen eben die Götter den Sinn bringen. Der moderne Mensch, so klagt der Hyperion, der Held des gleichnamigen Briefromans, ist auseinandergebrochen "und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst, als könnt er, wenn es einmal sich aufgelöst, Lebendiges zusammensetzen, wie ein Mauerwerk."

Zu Füßen des Olymp wurde eine Götterwelt erschaffen. Die Götter erfüllten die Welt mit Sinn.

"Zwar leben die Götter", schreibt Friedrich Hölderlin, der seinen Kant gelesen hatte, "aber über dem Haupt droben in anderer Welt. Endlos wirken sie da und scheinen wenig zu achten, ob wir leben ..."

In verflossenen Zeiten schritten die Götter über die Erde, wandelten unter den Menschen. Aber uns modernen Menschen ist es nicht länger vergönnt, sie zu Gesichte zu bekommen, viel weniger noch ihre Liebe zu erdulden.


Friedrich - mögest du in Frieden ruhen, zusammen mit Diotima im Olymp und dort finden, was dir im Leben verwehrt geblieben ist

Weblinks:

Griechenland - Der Garten der Götter - www.3sat.de

Schöpfungsmythen der Menschheit - www.mdr.de/wissen

Samstag, 13. Juni 2020

Friedrich Hölderlin - eine Würdigung


Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, war glühender Republikaner, für den die Französische Revolution, die er im Alter von 19 Jahren erlebte, ein Erweckungserlebnis war, welches für sein ganzes Leben bestimmend blieb.

Er litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt (Hölderlin) und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen (beide), verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Eigentlich soll Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."

Hölderlin war eben kein Philosoph, aktiver Weltverbesserer oder gar politischer Vordenker und taugt somit nicht als Ahnherr irgendwelcher späterer Denk- oder Gesellschaftssysteme, egal welcher Couleur. Letztendlich bleibt für uns heutige Menschen Hölderlins großartige Behandlung der deutschen Sprache, seine ungebändigte, nur schwer logisch oder gar akademisch zu deutende visionäre poetische Kraft: Ein genialer Dichter- nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Hölderlins Werk lässt sich, ebenso wenig wie das von Heinrich von Kleist, in eine Schublade stecken. Er lebte und schrieb, als die später als Weimarer Klassik und Romantik bezeichneten Literaturgattungen en vogue waren. Doch entwickelte er, unabhängig von allen zeitlichen Einflüssen, seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil. Doch wäre es nach seiner Mutter gegangen, wäre Hölderlin Pfarrer geworden.

Was Hölderlin als Dichter auszeichnet, ist seine ungeheuere Kraft der poetischen Verwandlung, fremde Welten in Poesie zu verwandeln und dem Leser in seiner Dichtkunst nahezubringen.

Hölderlin

Samstag, 6. Juni 2020

Friedrich Hölderlin - ein schwäbischer Dichter



Friedrich Hölderlin zählt heute zu den großen schwäbischen Dichtern. Er verbrachte Kindheit und Jugend – aber auch seine letzten 36 ›Turmjahre‹ in Schwaben. Der Dichter wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren, wuchs in Nürtingen auf, besuchte die Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn, studierte ab 1788 am Tübinger Stift Theologie. Obwohl ihn seine Wege auch nach Jena, Frankfurt und Bordeaux führten, blieb er der schwäbischen Heimat stets verbunden.

So schrieb er an den Bruder in einem Brief aus Waltershausen am 21. August 1794 »Lezten Sonntag war ich auf dem Gleichberge, der sich eine Stunde von Römhild über die weite Ebene erhebt. Ich hatte gegen Osten das Fichtelge-birge (an der Gränze von Franken und Böhmen), gegen Westen das Rhöngebirge, das die Gränze von Franken und Hessen, gegen Norden den Thüringer Wald, der die Gränze von Franken und Thüringen macht, gegen mein liebes Schwaben hinein, südwestlich, den Staigerwald zum Ende meines Horizonts.« 1

Sein schwäbisches Gemüt charakterisierte er in einem Brief an Friedrich Eme-rich: »Schreibst Du mir, so tönt es so lange nach, bis ich mich mit List oder Ge-walt zu etwas andrem bringe, und schreib ich Dir, so ists noch schlimmer; so bin ich ein schwerfälliger Schwabe.«2

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Friedrich Hölderlin

Samstag, 9. Mai 2020

Hölderlin im Tübinger Stift

Hölderlin im Tübinger Stift


Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Er litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn auch seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen, verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

»Ich duld es nimmer! ewig und ewig so/Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter/Die kurzen, vorgemeßnen Schritte/Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!«

Friedrich Hölderlin




Das Tübinger Stift, 1536 als "feste Burg des Protestantismus" gegründet, ist weithin berühmt. Man nennt es den "Pflanzgarten Gottes", und darin wuchsen große Männer heran, zum Beispiel Johannes Kepler.

Das evanglische Tübinger Stift ist die höchste Schule, welche das Land Württemberg seinen Landeskindern angedeihen lassen kann. Hier studierrte in früheren Zeiten die zukünftige Elite des Landes. Um das Jahr 1788 trafen im Tübinger Stift angehende Geistesgößen aufeinander, als zu Hölderlin und Hegel der erst 15-jährige Schelling stieß.

Schelling kannte Hölderlin schon von der Lateinschule. Die Freunde versuchten, dem Abgschlossensein wenigstens geistig zu entfliehen. Hegel zeigte sich von Rousseaus »Contrat social« beeidnruckt, Schelling beschäfigte sich eingehend mit Kant und Hölderlin entdeckte Leibniz.

Eigentlich bestimmt zu einer theologischen Laufbahn, kämpfte er verzweifelt dagegen an und versuchte sich als Schriftsteller und in verschiedenen Anstellungen als Hauslehrer eine unabhängige berufliche Existenz zu schaffen. Der elf Jahre ältere Schiller hat Hölderlin gefördert.



Die Jahre der eigentlichen, engen Gemeinsamkeit zwischen Hölderlin, Hegel und Schelling begannen im Herbst 1790 und endeten im Herbst 1793. Die Freundschaft zwischen Hölderlin und Hegel wurde bis um die Jahrhundertwende weitergeführt, die Freundschaft zwischen Hölderlin und Schelling wich wohl bald einer distanzierten, sehr seriösen gegenseitigen Hochachtung.

Hölderlin profitierte viel von dem intellektuellen Austausch mit seinen später ebenfalls berühmt gewordenen Zimmergenossen Hegel und Schelling. Sie hegten große Sympathie für die revolutionären politischen Ereignisse in Frankreich. Jedoch fand später durch das Scheitern Napoleons eine politische Umorientierung bei Hegel statt. Er wurde ein Anhänger der konstitutionellen Monarchie Preußens und söhnte sich mit den politischen Gegebenheiten aus.

In Tübingen kämpften Hegel, Schelling und Hölderlin gegen die Orthodoxie und erneuerten das damals vorherrschende Weltbild.


Weblink:

Die Gefährten - ZEIT-Artikel



Samstag, 2. Mai 2020

»Der Tod fürs Vaterland« von Friedrich Hölderlin



»Der Tod fürs Vaterland« ist der Titel einer Ode von Friedrich Hölderlin, die Christian Ludwig Neuffer 1800 mit weiteren Gedichten in seinem Taschenbuch für Frauenzimmer von Bildung herausgab. Sie umfasst sechs Strophen und hat alkäisches Versmaß.

Die Verse zeigen den Einfluss der Französischen Revolution auf sein Denken und seine politische Dichtung. Diese heroische Ode ist eigentlich eine verkappte Freiheitsode.

Das Werk hatte eine unheilvolle Wirkungsgeschichte und gehörte neben dem Gesang des Deutschen zu den meistzitierten Gedichten Hölderlins während der Zeit des Nationalsozialismus.


»Du kömmst, o Schlacht! schon wogen die Jünglinge
Hinab von ihren Hügeln, hinab ins Tal,
Wo keck herauf die Würger dringen,
Sicher der Kunst und des Arms, doch sichrer

Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,
Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,
Und ihre Vaterlandsgesänge
Lähmen die Kniee den Ehrelosen.

O nehmt mich, nehmt mich mit in die Reihen auf,
Damit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!
Umsonst zu sterben, lieb ich nicht, doch
Lieb ich, zu fallen am Opferhügel

Fürs Vaterland, zu bluten des Herzens Blut
Fürs Vaterland – und bald ists geschehn! Zu euch,
Ihr Teuern! komm ich, die mich leben
Lehrten und sterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte dürstet' ich euch zu sehn,
Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!
Nun grüßt ihr freundlich den geringen
Fremdling, und brüderlich ists hier unten;

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,
Und zähle nicht die Toten! Dir ist,
Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.«

»Der Tod fürs Vaterland« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 18. April 2020

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.
Die Elegie »Brod und Wein« entstand etwa um 1800 und ist nach Rüdiger Safranski und nach meiner Meinung das vielleicht schönste Gedicht Hölderlins. Die erste von neun Strophen lautet:

»Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.«


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Blog-Artikel:

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog

Samstag, 4. April 2020

Friedrich Hölderlin Huldigung




Kaum ein anderer Dichter fordert die Künste und seine Leserschaft bis heute so heraus wie er. Mit seinen kühnen Sprachexperimenten, die keiner Strömung, weder der Klassik noch der Romantik, zuzuordnen sind, führte er die Dichtung in die Moderne.

Seine tragische Lebensgeschichte zwischen Genie und Krankheit spiegelt die politischen und kulturellen Kämpfe im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution: um bürgerliches Selbstbewusstsein, Demokratie und Menschenrechte.

Während Hölderlin seinen Zeitgenossen als Außenseiter galt, feiern die Bundesrepublik und mit ihr die literarische Welt sein Jubiläum.

Der Literatursommer Baden-Württemberg steht in diesem Jahr unter dem Motto "Hölderlin und Hegel - 250 Jahre Sprache und Vision" und bietet von Juni bis Oktober rund 250 Veranstaltungen an 35 verschiedenen Orten. Die württembergische Landesbibliothek Stuttgart zeigt zum Jubiläumsjahr ab 22. April eine Ausstellung "Aufbrüche -Abbrüche", die auf dem Hölderlin-Archiv der Landesbibliothek basiert, in dem sich insgesamt über 80 Prozent aller bekannten Hölderlin-Handschriften befinden. Diese Ausstellung wird anschließend auch in Straßburg zu sehen sein.

Einen symbolischen Abschluss des Hölderlinjahres gibt es mit einer langen Hölderlinnacht am 7. November im Staatstheater Stuttgart. Im europäischen Ausland gibt es ebenfalls Veranstaltungen zum Geburtstag Hölderlins: So startet beispielsweise Barcelona einen Wettbewerb und eine Ausstellung zu den drei Persönlichkeiten Hölderlin, Anne Brontë und Gianni Rodari. Ein Festival in Luzern im August widmet sich Hölderlin und Beethoven.


Johann Kreuzer, Präsident der Hölderlin-Gesellschaft in Tübingen, sagte, Hölderlin habe noch immer weltweit eine ungebrochene Wirkung. So sei Hölderlin nicht nur Lieblingsdichter in Japan, sondern auch in China, wo beispielsweise bei manchen Hochzeitszeremonien Hölderlinsprüche verwendet werden. Auch in Südamerika sei der schwäbische Poet sehr gefragt.

Sonntag, 15. März 2020

Friedrich Hölderlin 250. Geburtstag - eine Würdigung


Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängte den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebellierte er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallte auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

»Ich duld es nimmer! ewig und ewig so/Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter/Die kurzen, vorgemeßnen Schritte/Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!«

Friedrich Hölderlin


Im Stift erwacht auch Hölderlins fast religiöser Ehrgeiz, sich dichterisch zu verwirklichen. Dazu kommt sein Interesse für Philosophie und die alten Griechen. Wie sie will er Natur und Liebe, Freiheit und Denken als eins empfinden und leben. Einig weiß er sich dabei mit seinen beiden Mitstudenten Hegel und Schelling.

"Und da denken eben die drei, dass das nicht ausreicht, dass wir aufgeklärt sind", sagt der Schriftsteller und Hölderlin-Kenner Karl-Heinz Ott. Denn die Aufklärung an sich, man sehe es bei Kant, zertrenne alle Lebensbereiche. Nichts hänge mehr zusammen, so Ott. Durch eine neue Mythologie hätten Hölderlin, Hegel und Schelling dies überwinden wollen.


Die Poesie kann die Gegensätze von Denken und Handeln aufheben. Darin sieht Hölderlin seine Bestimmung. Doch vorerst muss er als Hofmeister und Hauslehrer sein Brot verdienen. Die erste Stelle bekommt Hölderlin 1793 durch Vermittlung Friedrich Schillers bei dessen Freundin Charlotte von Kalb. Eine kurze Episode, wie der Versuch, in Jena Fuß zu fassen.

Später dann hat Hölderlin seine glücklichste Zeit: Zwei Jahre lebt er in Frankfurt am Main. Dort verliebt er sich in Susette Gontard, die leider verheiratet ist. Doch in ihr findet er seine "Diotima", seine Priesterin der Liebe. Und: innere Ruhe, den Glauben an seinen "Dichterberuf". Hölderlin vollendet Band 1 des "Hyperion"-Romans, trifft in den Oden eigene lyrische Töne, plant die Herausgabe einer humanistischen Zeitschrift.

https://www.mdr.de/kultur/friedrich-hoelderlin-geburtstag-100.html Warum Friedrich Hölderlin am eigenen Anspruch scheiterte

Samstag, 21. Dezember 2019

Hölderlin als Hauslehrer in Waltershausen in der südlichen Rhön

Schloss Waltershausen




Von Dezember 1793 bis Dezember 1794 lebte Hölderlin in dem beschaulichen kleinen Ort Waltershausen in der südlichen Rhön und arbeitete dort als Hauslehrer. Schiller vermittelte ihm eine Hauslehreranstellung bei seiner Freundin Charlotte von Kalb in Waltershausen im Grabfeld, jedoch verlor er diese kurz darauf, da es ihm wohl an gewisser Strenge als Lehrer gemangelt hat.

In den letzten Dezembertagen des Jahres 1793 trat Hölderlin, dreiundzwanzigjährig, die Stelle eines Hofmeisters im fränkischen Waltershausen an. Zu seinen Obliegenheiten gehörte die Erziehung und Ausbildung des Sprösslings der Familie von Kalb. Wie sich sehr rasch herausstellte, ein enervierender Fall, der nicht sonderlich fruchtete, wenn überhaupt davon die Rede sein kann. Nach einem Jahr gab er die Stelle auf.

Seine Verehrung Schillers zog ihn nach Jena. Die Schlossherrin Charlotte von Kalb, geborene Marschalk von Ostheim (1761-1843) hielt sich seit Monaten in Jena auf. Angeblich hatte sie Hölderlin dem Waltershäuser Schlosspersonal, Ehemann vermutlich inbegriffen, nicht angekündigt. Der Problematische, um das Missraten etwas abzuschwächen, sollte seinem Hofmeister „keine ruhige Stunde“ bereiten.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Januar 1795 siedelte Hölderlin nach Jena über. Der freie Ton, der an der dortigen Universität herrschte, zog viele Professoren und Studenten an. Er studierte bei Fichte, verkehrte mit Schiller und Goethe und traf auf Bekannte aus Tübingen: Immanuel Niethammer und Isaac von Sinclair.

Nach nur fünf Monaten verließ er Jena überraschend, warum, ist bis heute ungeklärt. Er ging von Jean zurück in die Heimat nach Nürtingen.

Weblink:

Waltershausen und Jena - www.hoelderlin-gesellschaft.de




Samstag, 30. November 2019

»Hölderlins Geister« - ein überfälliges Buch

Hölderlins Geister
Hölderlins Geister


Friedrich Hölderlin hat mit seiner Dichtung zahlreiche Geister ganz unterschiedlicher Coleur heraufbeschworen, die immer wieder versucht haben, den Dichter für sich zu vereinnahmen und für ihre Zwecke politisch zu instrumentalisieren.

Der Autor tastet sich in seiner Biografie über eine Vielzahl an bedeutenden Philosophen, Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern an den bekannten, weitgehend aber doch unbekannte Dichter heran. Er bricht mit Mythen und schenkt dem Leser einen breiten wie tiefen Einblick in sein Leben und Werk, indem er einen Bogen von der Unterstellung eines Verrückten bis zum revolutionären Dichter spannt. Mit Otts Buch "Hölderlins Geister", wird man zum lernenden Leser.

Hölderlin wurde sowohl von rechts (George, Heidegger und Nazivordenker) als auch von links (Sozialismus, 68er-Bewegung) vereinnahmt, nach eigenem Gutdünken umgebogen und letztlich schwer missbraucht wurde, doch Hölderlin lässt sich nicht auf bestimmte Positionen reduzieren und politisch vereinnahmen.

Wie konnte er Karriere am deutschen (Geistes-) Geisterhimmel machen? Das fragt man sich allerdings nicht nur bei Hölderlin. Warum sich also mit ihm befassen? - Weil wir alle ein bisschen Hölderlin sind? Um das zu erkennen und uns selber unter diesem heiteren Verdacht besser im Auge zu behalten? - »Wir und Hölderlin«, das meint Ott wohl. Für diese Fragestellung hat er in diesem Buch eine produktive Form, eine diesem Erkenntnisinteresse gemäße, differenzierte Sprache gefunden.

Gerade wegen unserer Sehnsucht nach Orientierung und Führung, sind wir ermahnt, den „Ausweg aus der eigenen Unmündigkeit“ für uns selber zu finden.

Es gibt dabei sicher schlauere Geister mit besserer Orientierung, mehr Wissen, stärkerem Wollen, sichererem Urteil, mehr Erfahrung, die als „Hauslehrer“ in Frage kämen. Aber zu ihnen gehört nach Ott Hölderlin wohl nicht. Auch wenn sein vertrauter Umgang mit den Göttern den Eindruck erweckt, müssten aber doch gewisse Kompetenzen vorliegen.

Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Otts leichtverständlicher, flüssiger und oft witzig-ironischer Schreibstil darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich »Hölderlins Geister« an einen akademisch vorgebildeten Leserkreis wendet und für Einsteiger nicht geeignet ist.

Literatur:;

Hölderlins Geister
Hölderlins Geister
von Karl-Heinz Ott

Freitag, 29. November 2019

»Hölderlins Geister« - Rezensionsnotiz in der NZZ

Hölderlins Geister
Hölderlins Geister
von Karl-Heinz Ott

Rezensionsnotiz in der »Neuen Zürcher Zeitung« vom 29.11.2019

Roman Bucheli sieht mit einiger Freude zu, wie Karl-Heinz Ott sich grimmig an den Hölderlin-Verehrern und -Verbiegern von Jünger bis Jakobson abarbeitet. Wie der Autor alle Dezenz fahren lässt und Hölderlins Exegeten und Apologeten sowie dem Leser seinen Zettelkasten "an den Kopf" knallt, scheint Bucheli durchaus lesenswert.

Otts gesammelter Unsinn aus den Schriftkammern der Nazis und des George-Kreises, von Heidegger und den französischen Dekonstruktivisten trifft laut Bucheli allerdings auch den Dichter selber. Der nämlich, so Bucheli, so Ott, hat die Fährten gut gelegt. Ein ungerechter Totalverrriss, über den man grübeln und sich schön ärgern kann, warnt und lockt der Rezensent.