Donnerstag, 31. Dezember 2020

Gedanken zum Jahreswechsel



Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzt die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.

aus dem Gedicht

»Der Winter« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 26. Dezember 2020

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin


Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.

Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.

Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.

Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.

Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.

Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber

Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.

Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 10. Oktober 2020

Hölderlin-Rezeption

Holderlinjahr 2020


Ferner war er den Deutschen nie. Doch um ermessen zu können, hinter welchen Schleiern und durch welche Verzerrungen hindurch Friedrich Hölderlin heute zu den Wenigen spricht, die er in Bann schlägt, müsste man auch die Nähe nachempfinden, aus der sich einmal die Vielen ergriffen fühlten.

Frühere Leser waren mangels anderer Suchtstoffe für die prophetische Vagheit seiner Vision, deren rauschhafte Suggestivität auf einer rhythmischen Sprache von zwingender Genauigkeit beruht, vermutlich empfänglicher. Sicher gelang es ihnen aber auch besser, die Leerstelle zwischen Götterferne und der Aussicht auf einen „kommenden Gott“, die jede Generation auf ihre Weise herausfordert, mit Sinn zu füllen.

Hölderlin zu lesen, heißt deshalb mehr als für jeden anderen deutschen Dichter, seine Rezeptionsgeschichte mitzulesen. Das „weltanschauliche Gegrabsche“, das Karl-Heinz Ott in „Hölderlins Geister“ (Hanser 2019), einer brillanten Folge von Miniaturen und Kurzessays, nachzeichnet, ist keine Nebensache.


Das Vaterland ist treulos dir geworden - www.tagesspiegel.de/kultur


Hölderlins Werk lässt sich, ebenso wenig wie das von Heinrich von Kleist, in eine Schublade stecken. Er lebte und schrieb, als die später als Weimarer Klassik und Romantik bezeichneten Literaturgattungen en vogue waren. Doch entwickelte er, unabhängig von allen zeitlichen Einflüssen, seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil.

Friedrich Hölderins Werk hat über die Jahrhunderte hinweg eine ganz unterschiedliche Rezeption erfahren. Immer wieder wurde er dabei auch falsch interpretiert.

Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern. Rüdiger Safranskis Biografie gelingt das auf bewundernswerte Weise.



Sehr lesenswerter Artikel über die unterschiedliche Hölderlin-Rezeption über die Jahrhunderte

Friedrich Hölderlin gehört zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Er hat neben dem »Hyperion« vor allem große Hymnen und Elegien geschaffen und eine außerordentliche poetische Strahlkraft entwickelt.

Die Deutschen verlangen offenbar immer noch nach Hölderlin, allerdings auch immer noch nach einem präparierten, einem dem Zeitgeist angepaßten Hölderlin. Und kein anderer Dichter läßt sich anscheinend so leicht für jede Laune des Zeitgeists reklamieren.

Friedrich Hölderlin hat mit seiner Dichtung im Sinne des deutschen Idealismus zahlreiche Geister ganz unterschiedlicher Coleur heraufbeschworen, die immer wieder versucht haben, den Dichter für sich zu vereinnahmen und für ihre Zwecke politisch zu instrumentalisieren.

Einerseits von Anfang an als deutschester unter den deutschen Dichtern gefeiert und gleich auch so etwas wie Religionsersatz, waren Ablehnung und Verkennung andererseits seine ständigen Begleiter.

Das begann mit Goethe, der riet, doch lieber kleinere, niedliche Gedichte statt der ausufernden hymnischen zu verfertigen. Und das ging weiter mit Friedrich Theodor Vischer, der über Hölderlin befand: "Sein Geist hatte zu wenig vom Harten; es fehlte ihm als Waffe der Humor; er konnte es nicht ertragen, daß man noch kein Barbar ist, wenn man Philister ist" (Nietzsche hat Vischer darauf beißend geantwortet: "Ersichtlich will der Ästhetiker uns sagen: Man kann Philister sein und doch Kulturmensch ...").

Nach den Philistern waren es die Übermenschen, die Elitebewußten, in deren Hände Hölderlin fiel: Vor allem der George-Kreis stilisierte ihn zum entrückten deutschen Parsifal; und nachdem sein erster wissenschaftlicher Editor, Norbert von Hellingrath, vor Verdun gefallen war, avancierte Hölderlin zum Symbol des vaterländischen Opfertodes.

Als dieses mußte er noch einmal im 2. Weltkrieg herhalten, wo die Landser neben der Feldpostausgabe von Rilkes "Cornet" auch die des "Hyperion" im Tornister nach Rußland schleppten. im festen Glauben, Hölderlins Welt gegen die anstürmenden bolschewistischen Barbaren zu verteidigen. Aber sie fielen nicht für Hölderlins Vaterland, sondern für den faschistischen Führer, dem Hanns Johst zum 50. Geburtstag aus dem "Hyperion" zitieren mußte.

Freilich, auch Stauffenberg berief sich auf Hölderlin, als er die Waffe gegen Hitler richtete, aber auch das Vaterland, das er und seine Freunde wollten, hätte mit dem Hölderlins (der geschrieben hatte, es sei "die erste Bedingung alles Lebens und aller Organisation, daß keine Kraft monarchisch ist") aber auch gar nichts zu tun gehabt.

Selbst als alles in Scherben lag, 1945, ging noch ein Sturm der Entrüstung durch das deutsche Bildungsbürgertum, als Günter Eichs Gedicht aus dem Gefangenencamp bekannt wurde, in dem sich Hölderlin auf Urin reimte. Da zog man doch Heideggers Hölderlin-Geraune vor, den Seher wollte man sich auf keinen Fall rauben lassen -- und sei es nun auch einer des Untergangs.

Mit dem vermeintlich revolutionären Aufbruch von 1968 änderte sich prompt auch das Hölderlin-Bild: Jetzt entdeckte man plötzlich (mit Hilfe des französischen Germanisten Pierre Bertaux) den Jakobiner Hölderlin, und der "schönheitstrunkene Schwärmer" (Eduard Spranger) wurde abserviert.

Weblink:

„Des hat uns grad ne g?fehlt!“ - DER SPIEGEL 49/1976



Samstag, 12. September 2020

Friedrich Hölderlin als Philosoph


Vor 250 Jahren, am 20. März 1770, in Lauffen am Neckar geboren, wuchs Hölderin in einem pietistisch geprägten Umfeld auf. Während des Theologiestudium am Tübinger Stift schloss er Freundschaft mit Hegel und Schelling und bildete mit ihnen einen intellektuellen Bund. Angesteckt vom Geist der Französischen Revolution träumten sie vom Aufbruch in eine neue Epoche. "Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!" heißt es in dem gemeinsam verfassten Text als einem frühen Geistesfunken, der als "das älteste Systemprogramm deutschen Idealismus" in die Philosophiegeschichte einging.

Zum allgemeinen Horizont von Hölderlins Werken gehören ihre deutlich hervortretenden theologischheilsgeschichtlichen Voraussetzungen, die geschichtliche Dimensionierung der Theodizee, ferner die Wandlung des geschichtsphilosophischen Denkens von Vokal= über Herder bis Hegel und das sich bereits abzeichnende Ende der Geschichtsphilosophie in der nachidealistischen Epoche des 19. Jahrhunderts. Ihr spezieller historischer Ort ist derjenige der idealistischen Geistphilosophie. Für sie ist die Geschichte die Selbstverwirklichung des Geistes und die Geschichtsbetrachtung selbst, wie Hegel wiederholt betont, eine säkulare Form der Theodizee, welche den denkenden Geist mit dem Negativen in der Geschichte versöhnt.

Fundamental ist ein entschieden teleologisches Denken, dem sich Geschichte noch nicht resignativ, wie später für Jacob Burckhardt, auf bloße Kontinuität reduziert, und erst recht nicht, wie für Goethe, als ein „Gewebe von Unsinn für den höheren Denker" und als eine „ungeheure Empirie" darbietet, deren Ungeheures in einem jede Sinnwahrnehmung obstruierenden Pluralismus weitgehend isolierter, jedenfalls aber sich nicht in eine Gesamtordnung fügender Geschehnisse liegt; ein teleologisches Denken, das sich vielmehr gerade angesichts der säkularen Skepsis und auch des scharfen Bruchs, den das epochale Ereignis der Französischen Revolution für das historische Bewußtsein bedeutete, bei Hölderlin noch einmal in einer äußersten Anstrengung artikuliert.

Die Kreise der drei begabten Studenten trennten sich Abschluß des Theologiestudium am Tübinger Stift und sollten sich später an anderer Stelle wiederfinden. Von November 1794 bis Mai/Juni 1795 hielt sich Hölderlin in Jena auf, wo er Fichtes Vorlesungen hörte. Die Auseinandersetzung mit Fichtes Denken mündete in eine grundsatzphilosophische Skizze, die in der Großen Stuttgarter Hölderlin Ausgabe den Titel »Urteil und Sein« trägt.

Für Kant und Fichte galt der Primat der praktischen Philosophie, der Ethik, für Hölderlin ist die Ästhetik die Königsdisziplin der Philosophie. Bei den Vorbereitungen zu einer literarischen Zeitschrift (das Projekt scheiterte) entfaltet Hölderlin seine Ästhetik und Poetologie in mehreren Manuskripten in systematischer Form. Diese sog. Homburger Fragmente entstanden im Jahre 1799. Grundlegend für diese Fragmente war Hölderlins Lehre vom Wechsel der Töne. Hölderlin scheint dabei Schillers Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung weiterentwickeln zu wollen.

In dem Fragment »Über den Unterschied der Dichtarten« legte Hölderlin seine Auffassung von der Tragödie als höchster Gattung dar. Der Text »Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes« stellte das umfangreichste der Fragmente Hölderlins dar; es ist nicht nur ein poetologischer, sondern auch ein metaphysisch-spekulativer Text, der das Thema der notwendigen Vereinigung von Subjekt und Objekt im Sein variiert und zum Ausgangspunkt einer differenzierten Ästhetik und Poetik macht.

Hölderlin hat kein einziges seiner philosophischen Manuskripte ausgearbeitet und veröffentlicht. Dennoch übte er einen großen Einfluss auf seine Studienfreunde Schelling und Hegel aus. Von beiden war er als philosophischer Gesprächspartner anerkannt. Von 1797 bis 1800 war er Hegels philosophischer Mentor. So war seine Vereinigungsphilosophie war von großer Bedeutung für die Dialektik Hegels.



Weblink:

Hölderlin-Matinee - "Ach! Der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt." - www.mdr.de

Hölderlin-Gesellschaft

Hölderlinturm

Die Hölderlin-Gesellschaft e.V. ist eine internationale literarische Gesellschaft mit Sitz im Hölderlinturm in Tübingen. Ihr Ziel ist es, „das Verständnis für das Werk Friedrich Hölderlins zu vertiefen und die Erforschung und Darstellung seines Werkes, seines Lebens und seiner Zeit zu fördern.

Sie wurde ursprünglich 1943 in Tübingen gegründet und nahm ihre heutige Form in den Jahren 1946/1947 an. Im Auftrag der Stadt verwaltete sie bis 2017 das Museum im Hölderlinturm mit einer ständigen Ausstellung zu Hölderlins Leben, wechselnden Ausstellungen zeitgenössischer Künstler mit Bezug zu Hölderlin.

Die Gesellschaft veranstaltet regelmäßig Lesungen und Autorenlesungen, Vorträge und Konzerte, gelegentlich Seminare in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen und alle zwei Jahre mehrtägige Jahresversammlungen in Tübingen und anderen Städten mit Vorträgen und Arbeitsgruppen. Sie arbeitet eng mit dem Hölderlin-Archiv an der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zusammen, fördert wissenschaftliche Ausgaben von Hölderlins Werken und gibt ein Jahrbuch und weitere Schriften und Schriftenreihen zur Hölderlin-Forschung und -Rezeption heraus.[1]

Die Hölderlin-Gesellschaft hat knapp 900 Mitglieder in aller Welt[2]. Präsident ist der Oldenburger Philosophie-Professor Johann Kreuzer, Geschäftsführerin ist Eva Ehrenfeld.

Quelle: Wilipedia https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6lderlin-Gesellschaft

Weblinks:

Hölderlin-Gesellschaft

Hölderlinturm

Samstag, 5. September 2020

Friedrich Hölderlin und seine Zeit


Hölderlin litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn auch seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen, verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

»Ich duld es nimmer! ewig und ewig so/Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter/Die kurzen, vorgemeßnen Schritte/Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!«

Friedrich Hölderlin

Um Hölderlin zu verstehen, begreift man ihn am besten als Kind seiner Zeit. Es war eine Zeit des Übergangs. Als die französischen Revolutionäre die Bastille stürmten, war Hölderlin 19 Jahre alt. Wie viele junge Deutsche schwärmte auch er von den Verheißungen der Freiheit. Doch die Begeisterung kippte bald in blankes Entsetzen. Die Französische Revolution mündete in eine Schreckensherrschaft – und schließlich im Krieg.

Um die Epochenwende 1800 sind es vor allem zwei Ereignisse, die für diese Epoche prägend sind und in ihr wie über sie hinaus nachhaltige Wirkung erzeugten: zum einen die Französische Revolution – zum anderen die Revolutionierung der Denkungsart durch die kritische Philosophie Kants. Nicht zu vergessen sind die Grundlagen der Industrialisierung, für die in dieser Zeit stellvertretend die Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt steht.

Die durch das Datum der Französischen Revolution entfachte Begeisterung klingt bei Hölderlin zunächst so wieder: "Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten, die alles bisherige schaamroth machen wird." (Brief an J.G. Ebel vom 10. Jan. 1797). Knapp drei Jahre später folgt die realgeschichtliche Ernüchterung auf dem Fuß. Im November 1799 spricht Hölderlin (wieder in einem Brief an Ebel) von "der allmächtigen alles beherrschenden Noth" und endet mit: "Glüklich sind wir dann, wenn uns noch eine andere Hofnung bleibt! Wie finden Sie denn die neue Generation, in der Welt, die Sie umgiebt?"

Es war diese epochale Spannung zwischen revolutionärer Begeisterung und realgeschichtlicher Ernüchterung, in der die Denkanstöße aufgenommen wurden, die von Kants kritischer Philosophie und deren Forcierung durch Fichte ausgingen. Hölderlin gehört hier zusammen mit den beiden anderen Tübinger Stiftlern – dem 2020er Mitjubilar Hegel und mit Schelling – zu den prägendsten Akteuren.

Beredtes (und berühmtes) Zeugnis des Gesprächs zwischen den dreien ist das sogenannte "Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus." Hier findet sich (in Hegels Handschrift) die zur Sprache drängende Überzeugung formuliert, daß der "höchste Akt der Vernunft ein ästhetischer Akt" sei. Der "Philosoph" bedürfe "ästhetischen Sinn". Die "Poësie" bekomme dadurch "eine höhere Würde", sie "allein" werde "alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben."

Damit ist der Doppelanspruch formuliert, der für Hölderlins Werk grundlegend geworden und geblieben ist: was "Dichtung" ist und sich als poetische Sprache mitteilt, erfolgt in Augenhöhe mit den avanciertesten Formen philosophischer Reflexion. Hatte schon Kant festgehalten, daß es "eigentlich die Dichtkunst ist, in welcher sich das Vermögen ästhetischer Ideen in seinem ganzen Maße" zeigt, so setzt Hölderlin das in poetische Sprachwirklichkeit um.
Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, war glühender Republikaner, für den die Französische Revolution, die er im Alter von 19 Jahren erlebte, ein Erweckungserlebnis war, welches für sein ganzes Leben bestimmend blieb.

Weblink:

Hölderlins "poetisches Geschäfft" - www.forschung-und-lehre.de

Samstag, 29. August 2020

Hölderlin-Orte (E)


Der Dichter Friedrich Hölderlin war unterwegs. Er wohnte in den ersten 36 Jahren seines Lebens an dreizehn verschiedenen Orten. Er unternahm große Wanderungen und reiste zu politischen Kongressen.

Die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte er aber an einem Ort, dem heute als Hölderlinturm bekannten Wahrzeichen der Universitätsstadt Tübingen.


Lauffen am Neckar

Friedrich Hölderlin wurde als erstes Kind seiner Eltern am 20. März 1770 in Lauffen geboren.

Zahlreiche Aktivitäten und sehenswerte Punkte zum Dichter finden sich in der Stadt am Neckar.

Großvater und Vater des Dichters verwalteten den ehemaligen Klosterbesitz und wohnten im Amtshaus auf dem Klostergelände. 1970 wurde überraschend entdeckt, dass die Familie Hölderlin auch ein privates Haus besaß, das bis heute erhalten ist und nur geringfügig umgebaut wurde.

Dieses Haus wurde 2015 aus Privatbesitz von der Stadt Lauffen erworben. Es wird zur Zeit denkmalgerecht saniert und mit einer Dauerausstellung zum Dichter eingerichtet.

Am 20. März, dem 250. Geburtstag des Dichters, wird das Haus der Öffentlichkeit übergeben.

Der 2011 gegründete Hölderlin-Freundeskreis e. V. organisiert Veranstaltungen zu Hölderlin und seiner Zeit.




Weitere zahlreiche Aktivitäten werden das Jahr 2020 begleiten.

Lauffen am Neckar

Nürtingen

Tübingen

Denkendorf und Maulbronn

Waltershausen und Jena

Frankfurt

Kassel und Driburg

Homburg vor der Höhe

Stuttgart

Hauptwil und Bordeaux


Frankfurt

Er liebt (oder träumt zu lieben?) die Gemahlin eines Banciers in Frankfurt ("Susette Gontard" alias "Diotima"), in dessen Hause er als privater Hauslehrer arbeitet. Sie ist seiner idealisierenden Liebe nicht abgeneigt, verweigert jedoch aus bürgerlicher Sicherheitssucht die Scheidung. So wird er entlassen und muss am Ende bis nach Bordeaux gehen, um eine neue Anstellung zu finden.

Frankfurt


Samstag, 15. August 2020

Hölderlins Thüringischer Olymp


Nicht der Große Gleichberg, sondern in seinem Schatten der Kleine Gleichberg wurde 1794 vom Dichter Friedrich Hölderlin zum „thüringischen Olymp“ erhoben. Viele halten jedoch die etwas kleinere Bergspitze für die weitaus interessantere, nicht nur, weil diese Erhebung durch Friedrich Hölderlins Exkursion geadelt und zum thüringischen Olymp erhoben wurde.

Seine Verehrung Schillers zog ihn nach Jena. Dort hielt sich die Schloßherrin Charlotte von Kalb, geborene Marschalk von Ostheim (1761-1843) seit Monaten in Jena auf. Angeblich hatte sie Hölderlin dem Waltershäuser Schlosspersonal, Ehemann vermutlich inbegriffen, nicht angekündigt. Der Problematische, um das Missraten etwas abzuschwächen, sollte seinem Hofmeister „keine ruhige Stunde“ bereiten. Unter diesen Umständen, vor diesem Hintergrund ist Hölderlins Sonntagsexkursion vom 17. August 1794 auf den Kleinen Gleichberg als wohl viel eher erholsamer, beruhigender, ausgleichender Ausflug zu sehen.

In dem Brief vom 21. August 1794 aus Waltershausen berichtet er seinem Halbbruder Carl Christoph Friedrich Gock (1776-1849) davon:

»Lezten Sonntag war ich auf dem Gleichberge, der sich eine Stunde von Römhild über die weite Ebene erhebt. Ich hatte gegen Osten das Fichtelgebirge (an der Gränze von Franken und Böhmen), gegen Westen das Rhöngebirge, das die Gränze von Franken und Hessen, gegen Norden den Thüringer Wald, der die Gränze von Franken und Thüringen macht, gegen mein liebes Schwaben hinein, südwestlich, den Staigerwald zum Ende meines Horizonts.« 1

1 Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 6: Briefe/Text, 1. Hälfte 1, Stuttgart 1987, S. 132

Wanderung in der Thüringischen Rhön

Samstag, 8. August 2020

»Kindheit« von Friedrich Hölderlin


Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir wie eine Blüte hing,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfing.
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Deine Stelle noch für meine Tränen,
Eine Welt für meine Liebe fand;

Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfingen goldne Tage mich.

Tot ist nun, die mich erzog und stillte,
Tot ist nun die jugendliche Welt,
Diese Brust, die einst ein Himmel füllte,
Tot und dürftig wie ein Stoppelfeld;
Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen
Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,
Aber hin ist meines Lebens Morgen,
Meines Herzens Frühling ist verblüht.

Ewig muß die liebste Liebe darben,
Was wir lieben, ist ein Schatten nur,
Da der Jugend goldne Träume starben,
Starb für mich die freundliche Natur;
Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,
Daß so ferne dir die Heimat liegt,
Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,
Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.


»Kindheit« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 1. August 2020

»Patmos« Hymne von Friedrich Hölderlin


»Patmos« ist der Titel einer 1803 vollendeten Hymne von Friedrich Hölderlin. Der Erstdruck erfolgte 1808 im »Musenalmanach« von Leo von Seckendorff, gewidmet ist die Dichtung dem Landgrafen von Homburg. Das Gedicht ist nach der griechischen Insel Patmos benannt, die als Schöpfungsort der prophetischen Offenbarung des Johannes gilt.

Die ägäische Insel ist dem verfolgten Christen ein Zufluchtsort und kennzeichnet zugleich die apokalyptische Krisensituation. Bereits der Titel verweist so auf den esoterisch-eschatologischen Horizont des Textes, der ausgesprochen reich an verschlüsselten Zitaten und Anspielungen auf synthetisch miteinander verwobene biblische, christliche, griechische und lateinische Motive und Mythen ist.

Ähnlich den anderen Versdichtungen aus dem Spätwerk Hölderlins ist auch Patmos ein kühner Versuch der Deutung der Geschichte als fortgesetzter göttlicher Offenbarung. Sie ist Ausdruck des Scheiterns der frühromantischen politischen Träume, die nun in eine religiöse, geistige Sphäre sublimiert werden. Besonders nah steht die Hymne darin der Dichtung Der Einzige, aber auch den Gesängen Friedensfeier und Andenken.

Die Hymne war dem Landgraf gewidmet und gegen den württembergischen Landgrafen gerichtet. Dieser war über den Inhalt nicht erfreut.

Samstag, 18. Juli 2020

Friedrich Hölderlin und die Deutschen - Barbaren von Alters her?


Friedrich Hölderlin hatte ein schwieriges Verhältnis zu seinem deutschen Vaterland und so mangelt es auch nicht gerade an Deutschen-Schelte in seiner Lyrik.

Aus dem »Hyperion«: "So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefaßt, noch weniger zu finden. [...] Barbaren von Alters her, ..."

Hölderlin drängte es aus der Enge der bürgerlichen Konvention in die ferne Welt hinaus. Er sehnte sich nach einer Harmonie zwischen Mensch und Natur, wie er sie in einem idealisierten Bild des alten Griechenland erblickte und für die Zukunft wieder erhoffte.

Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister (»So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark«) träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde - Bellarmin.

Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Hölderlin war kein Philosoph, aktiver Weltverbesserer oder gar politischer Vordenker und taugt somit nicht als Ahnherr irgendwelcher späterer Denk- oder Gesellschaftssysteme, egal welcher Couleur. Letztendlich bleibt für uns heutige Menschen Hölderlins großartige Behandlung der deutschen Sprache, seine ungebändigte, nur schwer logisch oder gar akademisch zu deutende visionäre poetische Kraft: Ein genialer Dichter- nicht weniger, aber auch nicht mehr.



»Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt,
nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk.«


Friedrich Hölderlin: Hyperion an Bellarmin (1797)

In seinem Vortrag »Hölderlin und die Deutschen«(1915) sprach Norbert von Hellingrath, der Wiederentdecker Friedrich Hölderlins, von der „Doppelgesichtigkeit“ des deutschen Volks, die gerade jetzt, inmitten des Krieges, wieder besonders stark hervorzutreten scheine und für die vor allem Hölderlin einen besonderen Blick gehabt habe (Hellingrath 1922, S. 38).

Hellingrath hatte an der Universität München Germanistik studiert und 1909 in der Stuttgarter Bibliothek bisher unbekannte späte Hymnen und Pindar-Übertragungen Hölderlins entdeckt. Durch Vermittlung seines Freundes Karl Wolfskehl kam er ins Gespräch mit Stefan George, der ihm ermöglichte, seine spektakulären Funde in den Blättern für die Kunst zu veröffentlichen.

1912 begann Hellingrath mit der Herausgabe einer Hölderlin-Werkausgabe, deren erster Band im Jahr darauf erschien. Ihre Wirkung auf die literarische und wissenschaftliche Welt war außerordentlich. Ein bis dahin nur als Nebenfigur der Literaturgeschichte betrachteter Autor wurde mit einem Schlage als einer der bedeutendsten deutschen Dichter erkannt – wofür es in der deutschen Kulturgeschichte wohl nur eine Parallele gibt: die Wiederentdeckung Johann Sebastian Bachs durch Felix Mendelssohns Aufführung der Matthäus-Passion im Jahre 1829.

George erhob Hölderlin zu einem seiner ästhetischen Ahnherren und nahm Hellingrath in seinen Kreis auf. Ausgerechnet im Tumult des Krieges gelangten Hölderlins späte Gedichte und Fragmente ans Licht und bewegten die akademische Jugend so stark, dass sie nach den Worten von Klaus Mann glaubte, für ein „hölderlinsche[s] Deutschland […] sterben zu müssen“(Mann 1992, S. 199).

Der 1914 zum Kriegsdienst eingezogene Hellingrath kehrte im Frühjahr 1915 wegen eines Reitunfalls von der Front heim nach München. Hier hielt er in Anwesenheit unter anderem von Wolfskehl und Rainer Maria Rilke zwei Hölderlin-Vorträge, ehe er ins Feld zurückkehrte – und in der Schlacht um Verdun am 14. Dezember 1916, erst achtundzwanzigjährig, fiel. In seiner Rede »Hölderlin und die Deutschen«stellt er die Entdeckung Hölderlins vor den Hintergrund der antideutschen Kriegspropaganda:


Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Dies sei ein Beleg dafür, dass die Deutschen keine stabile Selbsteinschätzung kennen, „ihres eigenen Selbstgefühls nicht sicher sind, wenn sie es nicht vom Mund der Nachbarn ablesen können“ – seien sie doch nun einmal unter den europäischen Nationen Emporkömmlinge, die sich üblicherweise nach dem Urteil der anderen richten.

Hellingrath verweist nun auf die „seltsame Doppelheit, die Wesen und Rätsel des Deutschen ist“, die „Doppelgesichtigkeit unseres Volkes“. Hier taucht eine Formel auf, die für den George-Kreis und sein Deutschland-Bild bis ins Dritte Reich prägend sein wird und für die bei Hellingrath der Name Hölderlins steht: Der Kern des „deutschen Wesens“ trete lediglich „in einem geheimen Deutschland zutage“, nämlich „in Werken, die immer nur ganz wenigen ihr Geheimnis anvertrauen, ja den meisten Nicht-Deutschen wohl nie zugänglich sind“. Sei Johann Wolfgang Goethe von seiner sozialen Herkunft und schließlich erreichten Lebensstellung her der wahre Repräsentant eines der gebildeten Mehrheit zugänglichen Deutschland, so sei der sozial immer am Rande stehende Hölderlin der Künder jenes „geheimen Reiches“, das sich nur wenigen erschließt (wie etwa den Mitgliedern des ungenannten George-Kreises). Entsprechend gibt es für Hellingrath nicht nur das „Volk Goethes“, sondern auch – unter der Oberfläche, im Innern des Landes – das „Volk Hölderlins“ (Hellingrath 1922, S. 15ff).

Hellingrath kontrastiert Hölderlins Gedichte und Fragmente, die um dieses innere Deutschland kreisen, mit der „berühmten Strafrede des Hyperion“ gegen die Deutschen, „die ihm [Hölderlin] selbst gewiß noch weher getan hat als den Lesern, denn er hatte es erlebt, und dieser Zorn ist eben ein heller Widerschein seiner glühenden Liebe für das unglückliche Vaterland“ (ebd., S. 36). In Hyperions Brief an Bellarmin drückt sich nach Hellingrath der „Zusammenstoß“ des geheimen mit dem wirklichen Deutschland aus, „das damals nicht viel anders war als heute“ (ebd.).

In seiner Strafpredigt – einer der schärfsten, die je gegen die Deutschen gerichtet wurde – vermisst der Protagonist in Hölderlins Hyperion bei letzteren gerade das, was die deutschen „Dichter und Denker“ des späten 18. Jahrhunderts – Immanuel Kant und Friedrich Schiller zumal – in den Mittelpunkt ihres Denkens gestellt haben: die Interesselosigkeit des Schönen, die auf den ganzen Menschen zielende Bildung statt der Abrichtung auf zweck-, nutz- und fachbestimmte Fertigkeiten. Hyperions Rede, aus der einige Kernstellen zitiert seien, lesen sich wie ein Gegenbrief zu Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen mit ihrer Autonomieerklärung und Ganzheitsbestimmung des Menschen.

Weblink:

Barbaren von Alters her? - Friedrich Hölderlin und die Deutschen - www.lieraturkritik.de

Hölderlins Beschwörung des antiken Griechenland


Hölderlin schwärmte auf dem Höhepunkt seines Schaffens von einer Rückkehr in die Antike, in der Menschen mit der Natur eine Einheit bilden. Griechenland war geradezu der Gegenentwurf der engen bürgerlichen Welt, in der Hölderlin sein Dasein fristete.

"Daß Hölderlin trotz seiner Einsamkeit sein hellenisches Ideal durchhielt, ohne Kompromiß und ohne böse oder stumpfe Verzweiflung, mutig und selig trotz der Verbannung aus seiner inneren Heimat, glühend inmitten des Frostes und der Öde, königlich und heilig trotz der deutschen Hauslehrermisere: das macht ihn zu einem unserer heroischen Menschen."
Friedrich Gundolf, Literaturwissenschaftler (1880-1931)

Hölderlin brauchte Griechenland nicht als Fluchtort, sondern als Imaginationsraum, an dem er aufzeigen kann, welche entscheidenden Seinsqualitäten im Lauf des Geschichts- und Kulturprozesses verloren gingen und was die Zukunft wiederherstellen muss. Hölderlin brauchte Griechenland als Projektionsfläche für seine ideale Vorstellung des Menschentums.

Der bürgerlichen Welt zu Beginn des 19. Jahrhunderts fehlte der Sinn für das Leben und die Schöpfung. Verloren ist vor allem die ursprüngliche ungeteilte Einheit allen Seins, die "durch Götternähe erfüllte" Epoche der Menschheit. Verloren ist ein Idealzustand, den die griechische Philosophie mit "hen kai pan", mit "alles ist eins" umschreibt.

Es brauchte Hölderlins Beschwörung des antiken Griechenlands und seiner Götter, das einen starken Kontrast zu diesem trostlosen Zeitbefund setzte. Seine Beschwörung Griechenlands zeigt, was einst war und wieder werden soll.

Es herrscht eine große Öde in der materialisierten und ermüdeten - ja auch gedanklich erschöpfen - Gesellschaft und so müssen eben die Götter den Sinn bringen. Der moderne Mensch, so klagt der Hyperion, der Held des gleichnamigen Briefromans, ist auseinandergebrochen "und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst, als könnt er, wenn es einmal sich aufgelöst, Lebendiges zusammensetzen, wie ein Mauerwerk."

Zu Füßen des Olymp wurde eine Götterwelt erschaffen. Die Götter erfüllten die Welt mit Sinn.

"Zwar leben die Götter", schreibt Friedrich Hölderlin, der seinen Kant gelesen hatte, "aber über dem Haupt droben in anderer Welt. Endlos wirken sie da und scheinen wenig zu achten, ob wir leben ..."

In verflossenen Zeiten schritten die Götter über die Erde, wandelten unter den Menschen. Aber uns modernen Menschen ist es nicht länger vergönnt, sie zu Gesichte zu bekommen, viel weniger noch ihre Liebe zu erdulden.


Friedrich - mögest du in Frieden ruhen, zusammen mit Diotima im Olymp und dort finden, was dir im Leben verwehrt geblieben ist

Weblinks:

Griechenland - Der Garten der Götter - www.3sat.de

Schöpfungsmythen der Menschheit - www.mdr.de/wissen

Samstag, 4. Juli 2020

Die Gedichte Hölderlins

Die Gedichte Hölderlins



Die Gedichte Hölderlins zeugen von großer Sprache, hohem Gedenken und unerfüllter Sehnsucht. So dichtete er als graecomanischer Deutscher Hymnen etwa über den Neckar, den Rhein oder den Main und träumte derweil des Olymps oder griechischer Gestade am Ister. Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister ("So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark") träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde ("Bellarmin").

Er liebt die Gemahlin eines Bankiers in Frankfurt ("Susette Gontard" alias "Diotima"), in dessen Hause er als privater Hauslehrer arbeitet. Sie ist seiner idealisierenden Liebe nicht abgeneigt, verweigert jedoch aus bürgerlicher Sicherheitssucht die Scheidung. So wird er entlassen und muss am Ende bis nach Bordeaux gehen, um eine neue Anstellung zu finden. Dort schreibt er sein schönstes Gedicht: "Andenken" (anno 1804). Unvergessen ist seine Liebe, ungefunden der Sinn der Trennung, und Alles wird verzerrt und verschoben.

"Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

Es reiche aber,
des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; den süß
Wär unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein."


Diese "sterblichen Gedanken" beginnen mit den Buchstaben 'S' und 'G' wie der Name der geliebten Susette Gontard. Vielleicht ist dies nur ein Zufall, aber bei Hölderlin scheint eigentlich nichts nur ein Zufall zu sein, denn:

"(...) Es nehmet aber
Und giebt Gedächtniss die See,
Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter."


Ein als höheres Geschick dargestelltes Sein verhilft sogar der niederigen materiellen Armut eines in jeder ideellen Hinsicht verunglückten Deutschen zu göttlichen Ehren. Und das ist am Ende sogar gerecht, denn dieser darbende Dichter stiftete ja tatsächlich etwas schönes Bleibendes!



Samstag, 20. Juni 2020

»Hyperion oder der Eremit in Griechenland« (E)


Die schönste Dichtung deutscher Sprache ist Hölderlins »Hyperion« vielfach genannt worden, ein unübertroffenes Meisterwerk des deutschen Idealismus, neben dem »Faust« der Inbegriff klassischer deutschsprachiger Literatur. Seine Wirkung besonders auf die Literatur des 20. Jahrhunderts ist einmalig. Ein lyrisch-elegischer Roman von Liebe und Sehnsucht, getragen von der Überzeugung, daß die unausgesetzte Suche nach Freiheit und Utopie Sinn macht.

Der Dichter Friedrich Hölderlin hat in seiner Poesie in der Antike geschwelgt.
Hölderlin sehnte sich nach einer Harmonie zwischen Mensch und Natur, wie er sie in einem idealisierten Bild des alten Griechenland erblickte und für die Zukunft wieder erhoffte.

Held auf gefährlicher Reise

„Es ist eine bessere Zeit, die suchst du, eine schönere Welt“: So beschreibt im Roman Hyperions geliebte Gefährtin Diotima die selbst gewählte Mission des jungen Mannes. Der Satz passt auf Hölderlin selbst, der seinen Helden nicht, wie Goethe seinen »Wilhelm Meister«, auf den Bildungsweg der Selbstreflexion, sondern auf gefährliche Reise schickt. Der an seiner Gegenwart verzweifelnde, schnell entflammte Hyperion zieht in den Freiheitskampf und kehrt, an Geist und Seele versehrt, wieder heim.

Hölderlin verlegt die Handlung nach Griechenland, zeichnet in Wirklichkeit aber das Schicksal seiner eigenen Generation nach, die zuerst begeistert der Französischen Revolution folgt, sich dann aber von deren Gräueltaten entsetzt abwendet. Hyperions Lebensgeschichte ist Hölderlins literarische Anklage gegen das spießbürgerliche, dumpfe und materialistische Deutschland seiner Zeit, das ihm als Künstler und Idealisten kaum Luft zum Atmen ließ.

Seine Sprache war schon damals gewöhnungsbedürftig und ist es heute erst recht: Da „säuseln holdselige Tage“, es neigen sich „lispelnde Bäume“ und es „gährt das Leben“. Doch die Fragen des lange verkannten Genies sind nicht aus der Welt: Wie kann der Mensch seine Vereinzelung überwinden? Auf welchem Weg eine bessere Welt schaffen? Und wie im Einklang mit der Natur leben? Das antike Griechenland mag heute als Vorbild ausgedient haben, aber die Suche nach Antworten auf diese Fragen bleibt aktuell.

Der Plan zu einem Roman, der einen freiheitsliebenden Griechen namens »Hyperion« zum Helden hat, ist schon aus der Zeit im Tübinger Stift 1792 belegt. Über die folgenden Jahre hinweg entwirft Hölderlin mehrere Fragmente, versucht eine Fassung in Versen und kehrt schließlich wieder zur Prosa-Form zurück. Friedrich Schiller fördert den Fortgang der Arbeit, indem er in seiner Zeitschrift "Thalia" Briefe aus dem Hyperion veröffentlicht und schließlich sogar einen Vertrag mit dem Tübinger Verleger Cotta vermittelt: 100 Gulden soll der junge Nachwuchsdichter erhalten, jedoch nicht, wie von Hölderlin erhofft, für einen Band, sondern für das ganze Werk. Gewiss nicht viel, gemessen an dem, was Schiller für sich selbst bei Cotta herauszuhandeln vermochte.

Zum Vergleich noch ein paar Zahlen: Für Hölderlin entsprach dieses Honorar einem Vierteljahresgehalt. Er erhielt jährlich 400 Gulden bei freier Kost und Logis, ein Offizier, der für Uniform und Pferd selbst aufkommen musste, 150 Gulden, ein Frankfurter Schullehrer lebte mehr schlecht als recht von 75 Gulden. Schiller erhält zur gleichen Zeit von Cotta pro Bogen (16 Seiten) etwa 16 Gulden. Hölderlin hatte sich in Jena ausgerechnet, dass er "von 4 Bogen (...) bequem ein halbes Jahr leben" könnte (VI, 157), wenn Schiller ihn als Mitarbeiter seiner Zeitschrift "Horen" heranzöge, was dieser aber leider nicht tat. Genau genommen erhielt Hölderlin nur 97 Gulden, denn die 11 Freiexemplare wurden abgezogen. Verkauft wurde der Band, also der halbe Hyperion, für 10 Groschen (ein Gulden hatte 24 Groschen). (Anmerkung 2) Doch nun zum Roman: Schauplatz ist das Griechenland des ausgehenden 18. Jahrhunderts, jetzt unter türkischer Fremdherrschaft und nur noch ein kläglicher Schatten seiner einstigen Größe. Die Handlung des Hyperion gestaltet sich recht ereignisreich: Der Leser erlebt eine vorbildliche Lehrer-Schüler-Beziehung (Hyperion - Adamas), eine echte und wechselvolle Männerfreundschaft (Hyperion - Alabanda), eine gefühlvolle Liebesbeziehung (Hyperion - Diotima), eine wilde Verschwörerbande (Bund der Nemesis), einen fehlgeschlagenen griechischen Befreiungskrieg, schändliche Plünderungen, eine türkisch-russische Seeschlacht, ein Vater-Sohn-Zerwürfnis, Selbstmordpläne, Abschiedsbriefe, Tod der Geliebten und tragisches Zuspätkommen, schließlich zielloses Herumirren in der Welt, unter anderem auch in Deutschland. Hyperion selbst ist ein junger Grieche, welcher es sich in den Kopf gesetzt hat, sein Vaterland vom türkischen Joch zu befreien und sich davon auch nicht durch den Rat seiner wesentlich besonneneren Geliebten abbringen lässt. Zum Volksbefreier sei er nicht geeignet, hält Diotima ihm vor, wohl aber zum Volkserzieher. Vorher aber solle er in die Welt hinaus gehen, ins Ausland, um dort seinen Geist zu bilden und so zum "Erzieher unsers Volkes" gereift zurückzukehren. Die Befreiungstat scheitert an der Disziplinlosigkeit seiner Männer. "Es war ein außerordentliches Projekt, durch eine Räuberbande mein Elysium zu pflanzen", so klagt Hyperion und beschließt, in der nächsten Seeschlacht gegen die Türken auf russischer Seite unterzugehen. Er wird gerettet, die Lebensgeister kehren zurück, er erinnert sich auch wieder seiner geliebten Diotima, entwirft noch Pläne einer gemeinsamen Zukunft außerhalb Griechenlands, er schlägt ihr vor in den "Alpen oder Pyrenäen" ein "Leben in goldener Mittelmäßigkeit" zu beginnen, aber zu spät. Diese ist schon an Schwermut gestorben, nicht ohne ihm zuletzt noch Erfüllung in "dichterischen Tagen" zu prophezeien. So irrt Hyperion rastlos und ohne Lebenssinn in der Welt herum, bis er schließlich "unter die Deutschen" kommt, wo er als Fremdling ankommt und als Fremder wieder geht. Seitdem lebt er als Eremit in den Bergen Griechenlands, sein Geschick in Briefen rekapitulierend, nur gelegentlich getröstet und begeistert von dem Erlebnis der alle Gegensätze vereinenden und aussöhnenden Kraft der Natur. So ereignisreich die Fabel des »Hyperion« auch sein mag, im Zentrum stehen die Erinnerungen des Eremiten, seine rückblickenden Betrachtungen, geschichtsphilosophische Reflexionen über die Trefflichkeit des klassischen Athenervolkes und die Kläglichkeit der heutigen Welt, Gedanken über die richtige Erziehung des Menschen zum Menschen. Das Wichtigste wird dem Leser im Dialog der Hauptfiguren, in deren "Seelengesprächen" vor Augen gebracht, in Abschnitten von wunderschöner Intensität und Gedankentiefe, aber auch von absichtsvoll-idealistischer Realitätsferne.

Bei der Lektüre des »Hyperion« sollte man sich immer wieder vor Augen führen, dass hier ein junger Mann von Mitte Zwanzig schreibt, ein empfindsamer Schöngeist, ein begeisterter Idealist und unglücklicher Liebhaber. Hyperion, der griechische Jüngling, ist ein unausgeglichener Schwarmgeist, der schon in jungen Jahren die Kluft zwischen seinen Idealen und der erfahrenen Wirklichkeit tief empfindet und erleidet. Und "... mitten in (s)einen finsteren Tagen" erscheint ihm "das Göttliche", das Eine und Alles, dessen Name Schönheit ist und - Diotima heißt. In ihrer Gegenwart erlebt er höchstes Glück, den Himmel auf Erden, er, dessen Gemüt doch voller Widersprüche, "voll blutender Erinnerungen" und voll "wilder Trauer" ist.

In einem ihrer "Seelengespräche" über Freundschaft und Liebe erkennt Diotima rasch, woran Hyperion leidet: Es ist dieses grenzenlose Verlangen nach "einer besseren Zeit", die rückhaltlose Hingabe an das Idealische, Vollkommene, folglich auch das tiefe Leiden an dem "Verlust von allen goldenen Jahrhunderten". Dieses Verständnis von Hyperions Leiden und Idealismus macht ihm Diotima zur Seelenverwandten und Seelentrösterin: Diotima, die Pflegerin der kranken Seele, die Heilerin des unausgeglichenen Gemütes, die Besänftigerin der wilden Leidenschaften. Diotima ist die Verkörperung von innerer Ausgeglichenheit, seelischer Harmonie, kurz: ein Wesen der "goldenen Mitte". Und weil das, was für die menschliche Seele wahr und gut ist, nach klassischem Verständnis auch schön sein muss, macht Hyperion seine Diotima zum Zentrum eines Kultes der Schönheit und der Liebe. Dem Liebhaber wird alles heilig, was an das Geliebte mahnt, die Orte der ersten Begegnung ebenso wie die Worte, die gewechselt werden.

Wie sein Ziehvater Schiller, wie sein Studiengefährte Hegel, so sah Hölderlin das Grundübel der neuen Zeit in der Reduzierung des Menschen auf eine bestimmte Tätigkeit, einen nützlichen Zweck, ein Funktionsteil im seelenlosen Räderwerk der Staatsmaschinerie. Heute würden wir das mit einem Wort bezeichnen: Arbeitsteilung. Deren Effizienz ist unbestritten, deren Seelenlosigkeit bewirkt aber tiefes Leid, welches den Menschen selbst nur selten bewusst ist. Einzig der Dichter, ausgestattet mit jenem empfindsamen Gemüt, das Hölderlin den Genius nennt, weiß um den Verlust jener Ganzheitlichkeit, die einst den Menschen des klassischen Griechenlands ausgezeichnet haben soll. Die Dichter jedoch, namentlich jene in Deutschland, werden behandelt "wie Fremdlinge im eigenen Hause".

So steht es im letzten Brief Hyperions, wo er sich in gewaltigen Worten über die Deutschen beklagt: Sie leben in einem System voller Unterscheidungen und Trennungen, in einer mechanischen Welt der Arbeitsteilung und Funktionalität, nicht aber im Geiste der Harmonie, des Ausgleichs und der Versöhnung der Gegensätze. In den Worten Hyperions klingt das so:

"... ich kann kein Volk mir denken, das zerißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungenudn gesetzte Leute, aber keine Menschen - ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und Gleider zerstückelt untereinander liegen ... ? Ein jeder treibt das Seine, wirst du sagen, und ich sage es auch. Nur muß er es mit ganzer Seele treiben, muß nicht jede Kraft in sich ersticken, wenn sie nicht gerade sich zu seinem Titel paßt ... und ist er in ein Fach gedrückt, wo gar der Geist nicht leben darf, so stoß ers mit Verachtung weg und lerne pflügen!"



  • »Hyperion« ist der einzige Roman des berühmten Lyrikers Friedrich Hölderlin.

    Inhalt: Der Grieche Hyperion erzählt seinem deutschen Brieffreund Bellarmin in 60 Briefen sein Leben. Er erinnert sich an einen treuen Begleiter und an seine große Liebe Diotima und daran, wie er beide verlor. Nach der Teilnahme an einem Aufstand gegen die Osmanen hat Hyperion seine Hoffnung auf die Wie derauferstehung des antiken Griechenlands begraben und sich als Einsiedler in die Natur zurückgezogen.

    Der Roman handelt von der Sehnsucht nach einer anderen, von platonischen Idealen inspirierten Welt.
    »Hyperion« scheitert mit seiner Vision, überwindet aber sein Schicksal mithilfe der Dichtung.
    Die Handlung spielt vor dem Hintergrund des griechischen Aufstands gegen die Türken im Jahr 1770.
    Zugleich lässt sich Hyperion als Gleichnis für die Nachwehen der Französischen Revolution lesen.


Literatur:

Hyperion

Hyperion


»Hyperion« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin


»Hyperion« ist ein Briefroman mit dem Titel »Hyperion oder Der Eremit in Griechenland« von Friedrich Hölderlin. Der Name »Hyperion« bedeutet „der oben Gehende“.

»Hyperion« erschien in zwei Bänden 1797 und 1799. Es ist ein lyrischer Briefroman, dessen äußere Handlung gegenüber den inneren Erfahrungen nur untergeordnete Bedeutung hat und dessen strömender Gefühlsreichtum in sprachliche Klangfülle gebannt ist.


Hyperions Le­bens­ge­schich­te ist Hölderlins li­te­ra­ri­sche Anklage gegen das spieß­bür­ger­li­che, dumpfe und ma­te­ria­lis­ti­sche Deutschland seiner Zeit, das ihm als Künstler und Idealisten kaum Luft zum Atmen ließ.

Hyperion, der rückschauend seinem deutschen Freund Bellarmin von seinem Leben berichtet, wächst in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Südgriechenland im Frieden der Natur auf. Sein weiser Lehrer Adamas führt ihn in die Heroenwelt des Plutarch, dann in das Zauberland der griechischen Götter und begeistert ihn für die griechische Vergangenheit. Sein tatkräftiger Freund Alabanda weiht ihn in die Pläne zur Befreiung Griechenlands ein.

In Kalaurea lernt er Diotima kennen. Sie gibt ihm die Kraft zur Tat. Er nimmt im Jahre 1770 am Befreiungskrieg der Griechen gegen die Türken teil, dem Osmanischen Krieg. Die Rohheit des Krieges stößt ihn jedoch ab. Er wird schwer verwundet, Alabanda muss fliehen, und Diotima stirbt. Hyperion geht nach Deutschland, aber das Leben dort wird ihm unerträglich. Deshalb kehrt er nach Griechenland zurück und lebt dort als Eremit. In seiner Einsamkeit findet er in der Schönheit der Landschaft und Natur zu sich selbst und überwindet die Tragik, die in diesem Alleinsein liegt.

Hyperion lernt den "herrlichen" Fremdling Alabanda und durch ihn den Krieg kennen und seine Folgen, eine emotionale Liebesbeziehung zu Diotima und allerlei Wirren. Kurz, ein Leben, von der Jugend und Bildung zu Männerfreundschaft, Liebe zu einer Frau, Wirren von Krieg und Gesellschaft. Ein pralles Lebensgemälde mit prallen Erfahrungen und Erkenntnissen und schönen Sätzen, die seinerzeit Wenige begriffen.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."

Aus der Rückschau korrespondiert der Titelheld mit einem gewissen "Bellarmin" über Ereignisse in Griechenland zur Zeit der Griechisch-Türkischen Kriege. Eine große, rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal, ist Hyperion, dem literarischen Helden, zu Eigen, die das "Geschehen" in einem zentralen Konflikt leitet. Diotima und Alabander inszeniert Hölderlin als Kontrastfiguren, an denen sich Hyperion aufreizt. Da ist zum einen die Inbrunst an die Geliebte und Rückzug in das private Glück des Idylls versus militanter Einsatz für eine bessere Welt im Bund mit dem besten Freund.

Die Disharmonien und Kontroversen führen zur Auslöschung der Kontrastfiguren, so dass schließlich der desillusionierte Hyperion allein überlebt und in Deutschland unter all den "Barbaren von alters her (...), tief unfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien (...), dumpf und harmonielos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes" sein Credo resignativ gebrochen zu Papier bringen kann.

Der Roman ist ein Selbstbekenntnis, das trotz mancher jugendlich-schwärmerischen Züge Hölderlins Lebensschau und Seelentum vergegenwärtigt. Die Natur, die in den Schlussbriefen hymnisch gefeiert wird, wird verehrt als der gotterfüllte Raum. In der Schilderung Griechenlands durchdringen sich Vergangenheit und Zukunft, Traum und Verheißung.


Literatur:

Hyperion

Hyperion von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Samstag, 13. Juni 2020

Hegel, Hölderlin und Schelling 1790 im Tübinger Stift

Tübinger Stift

Hegel, Hölderlin und Schelling verbrachten um 1790 gemeinsame Jahre der Ausbildung im Tübinger Stift.

Drei junge Studenten der Philosophie und Theologie auf der Suche nach sich und nichts weniger als hehrer Wahrheit und absoluter Weisheit: Hegel, Hölderlin und Schelling 1790 im Tübinger Stift. Damenbesuch droht, die Jungmänner-Bude nach Kartenspielgelagen vollkommen desolat und die Speisekammer leer bis auf ein paar Krüge Gerstensaft.

Euphorisch, verliebt, enttäuscht, philosophierend, streitend, hoffend, verzweifelnd erleben wir das Trio bei seinem Sturz durch die Zeiten. Denn das Stück katapultiert die wohl berühmteste Philosophen-WG der Geschichte mit einer von Schelling gesteuerten phantastischen »machina tempora« in großen Sprüngen aus ihrem Zeitalter durch die Historie in unsere Gegenwart und sogar bis in die Zukunft.

Friedrich Hölderlin - eine Würdigung


Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, war glühender Republikaner, für den die Französische Revolution, die er im Alter von 19 Jahren erlebte, ein Erweckungserlebnis war, welches für sein ganzes Leben bestimmend blieb.

Er litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt (Hölderlin) und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen (beide), verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Wenn wir jetzt aus allen Teilen der Welt hören: wir Kindswürger und Mordbrenner seien Barbaren, Nachfahren der alten Hunnen […], dann fühlen wir guten Deutschen das Bedürfnis, uns vor den Feinden – denn was haben wir sonst – ins rechte Licht zu setzen, weisen das Ausland schüchtern darauf hin, daß wir doch eigentlich im Grunde das Volk Goethes seien.

Eigentlich soll Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."

Hölderlin war eben kein Philosoph, aktiver Weltverbesserer oder gar politischer Vordenker und taugt somit nicht als Ahnherr irgendwelcher späterer Denk- oder Gesellschaftssysteme, egal welcher Couleur. Letztendlich bleibt für uns heutige Menschen Hölderlins großartige Behandlung der deutschen Sprache, seine ungebändigte, nur schwer logisch oder gar akademisch zu deutende visionäre poetische Kraft: Ein genialer Dichter- nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Hölderlins Werk lässt sich, ebenso wenig wie das von Heinrich von Kleist, in eine Schublade stecken. Er lebte und schrieb, als die später als Weimarer Klassik und Romantik bezeichneten Literaturgattungen en vogue waren. Doch entwickelte er, unabhängig von allen zeitlichen Einflüssen, seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil. Doch wäre es nach seiner Mutter gegangen, wäre Hölderlin Pfarrer geworden.

Was Hölderlin als Dichter auszeichnet, ist seine ungeheuere Kraft der poetischen Verwandlung, fremde Welten in Poesie zu verwandeln und dem Leser in seiner Dichtkunst nahezubringen.

Hölderlin

Samstag, 6. Juni 2020

Friedrich Hölderlin - ein schwäbischer Dichter



Friedrich Hölderlin zählt heute zu den großen schwäbischen Dichtern. Er verbrachte Kindheit und Jugend – aber auch seine letzten 36 ›Turmjahre‹ in Schwaben. Der Dichter wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren, wuchs in Nürtingen auf, besuchte die Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn, studierte ab 1788 am Tübinger Stift Theologie. Obwohl ihn seine Wege auch nach Jena, Frankfurt und Bordeaux führten, blieb er der schwäbischen Heimat stets verbunden.

So schrieb er an den Bruder in einem Brief aus Waltershausen am 21. August 1794 »Lezten Sonntag war ich auf dem Gleichberge, der sich eine Stunde von Römhild über die weite Ebene erhebt. Ich hatte gegen Osten das Fichtelge-birge (an der Gränze von Franken und Böhmen), gegen Westen das Rhöngebirge, das die Gränze von Franken und Hessen, gegen Norden den Thüringer Wald, der die Gränze von Franken und Thüringen macht, gegen mein liebes Schwaben hinein, südwestlich, den Staigerwald zum Ende meines Horizonts.« 1

Sein schwäbisches Gemüt charakterisierte er in einem Brief an Friedrich Eme-rich: »Schreibst Du mir, so tönt es so lange nach, bis ich mich mit List oder Ge-walt zu etwas andrem bringe, und schreib ich Dir, so ists noch schlimmer; so bin ich ein schwerfälliger Schwabe.«2

Weblink:

Friedrich Hölderlin

»Phaeton« von Wilhelm Waiblinger

Phaeton

»Phaeton« ist ein im Jahr 1822 fertig gestellter Briefroman von Wilhelm Waiblinger.

Entstehungszeit: 1822. Erstdruck: Stuttgart (Franckh) 1823



Literatur:

Phaeton
Phaeton
von Wilhelm Waiblinger

Samstag, 16. Mai 2020

Hölderlin war ein Punk


Hölderlin war ein Punk - Nicht in seiner Wesensart, als umsichschlagender Protestmensch. Sondern in seiner Art und Weise zu dichten und mit der Sprache umzugehen, sie als unumstößliche Kraft einzusetzen. Sein Reden, Texten, Dichten ist ein ständiges Sehnen und Ringen nach dem Absoluten, an der Grenze des Sagbaren und darüber hinaus. Ziel war das losgelöst Freie, nicht Systemunterworfene, das unmittelbar Echte, weil mit allem Verbundene.

Friedrich Hölderlin in seiner Jugendzeit



Friedrich Hölderlins verbrachte Hölderlin eine glückliche Jugendzeit. Er war kein Stubenhocker und hielt sich in der freien Natur auf, streifte in den väterlichen Gärten umher und spielte am Ufer des Neckar. Am alljährlichen Nürtinger Maientag, einem traditionellen Jugendfest, spielte und tobte mit den Gleichaltrigen auf den Neckarwiesen.

Samstag, 9. Mai 2020

Hölderlin im Tübinger Stift

Hölderlin im Tübinger Stift


Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Er litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn auch seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen, verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

»Ich duld es nimmer! ewig und ewig so/Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter/Die kurzen, vorgemeßnen Schritte/Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!«

Friedrich Hölderlin




Das Tübinger Stift, 1536 als "feste Burg des Protestantismus" gegründet, ist weithin berühmt. Man nennt es den "Pflanzgarten Gottes", und darin wuchsen große Männer heran, zum Beispiel Johannes Kepler.

Das evanglische Tübinger Stift ist die höchste Schule, welche das Land Württemberg seinen Landeskindern angedeihen lassen kann. Hier studierrte in früheren Zeiten die zukünftige Elite des Landes. Um das Jahr 1788 trafen im Tübinger Stift angehende Geistesgößen aufeinander, als zu Hölderlin und Hegel der erst 15-jährige Schelling stieß.

Schelling kannte Hölderlin schon von der Lateinschule. Die Freunde versuchten, dem Abgschlossensein wenigstens geistig zu entfliehen. Hegel zeigte sich von Rousseaus »Contrat social« beeidnruckt, Schelling beschäfigte sich eingehend mit Kant und Hölderlin entdeckte Leibniz.

Eigentlich bestimmt zu einer theologischen Laufbahn, kämpfte er verzweifelt dagegen an und versuchte sich als Schriftsteller und in verschiedenen Anstellungen als Hauslehrer eine unabhängige berufliche Existenz zu schaffen. Der elf Jahre ältere Schiller hat Hölderlin gefördert.



Die Jahre der eigentlichen, engen Gemeinsamkeit zwischen Hölderlin, Hegel und Schelling begannen im Herbst 1790 und endeten im Herbst 1793. Die Freundschaft zwischen Hölderlin und Hegel wurde bis um die Jahrhundertwende weitergeführt, die Freundschaft zwischen Hölderlin und Schelling wich wohl bald einer distanzierten, sehr seriösen gegenseitigen Hochachtung.

Hölderlin profitierte viel von dem intellektuellen Austausch mit seinen später ebenfalls berühmt gewordenen Zimmergenossen Hegel und Schelling. Sie hegten große Sympathie für die revolutionären politischen Ereignisse in Frankreich. Jedoch fand später durch das Scheitern Napoleons eine politische Umorientierung bei Hegel statt. Er wurde ein Anhänger der konstitutionellen Monarchie Preußens und söhnte sich mit den politischen Gegebenheiten aus.

In Tübingen kämpften Hegel, Schelling und Hölderlin gegen die Orthodoxie und erneuerten das damals vorherrschende Weltbild.


Weblink:

Die Gefährten - ZEIT-Artikel



Samstag, 2. Mai 2020

»Der Tod fürs Vaterland« von Friedrich Hölderlin



»Der Tod fürs Vaterland« ist der Titel einer Ode von Friedrich Hölderlin, die Christian Ludwig Neuffer 1800 mit weiteren Gedichten in seinem Taschenbuch für Frauenzimmer von Bildung herausgab. Sie umfasst sechs Strophen und hat alkäisches Versmaß.

Die Verse zeigen den Einfluss der Französischen Revolution auf sein Denken und seine politische Dichtung. Diese heroische Ode ist eigentlich eine verkappte Freiheitsode.

Das Werk hatte eine unheilvolle Wirkungsgeschichte und gehörte neben dem Gesang des Deutschen zu den meistzitierten Gedichten Hölderlins während der Zeit des Nationalsozialismus.


»Du kömmst, o Schlacht! schon wogen die Jünglinge
Hinab von ihren Hügeln, hinab ins Tal,
Wo keck herauf die Würger dringen,
Sicher der Kunst und des Arms, doch sichrer

Kömmt über sie die Seele der Jünglinge,
Denn die Gerechten schlagen, wie Zauberer,
Und ihre Vaterlandsgesänge
Lähmen die Kniee den Ehrelosen.

O nehmt mich, nehmt mich mit in die Reihen auf,
Damit ich einst nicht sterbe gemeinen Tods!
Umsonst zu sterben, lieb ich nicht, doch
Lieb ich, zu fallen am Opferhügel

Fürs Vaterland, zu bluten des Herzens Blut
Fürs Vaterland – und bald ists geschehn! Zu euch,
Ihr Teuern! komm ich, die mich leben
Lehrten und sterben, zu euch hinunter!

Wie oft im Lichte dürstet' ich euch zu sehn,
Ihr Helden und ihr Dichter aus alter Zeit!
Nun grüßt ihr freundlich den geringen
Fremdling, und brüderlich ists hier unten;

Und Siegesboten kommen herab: Die Schlacht
Ist unser! Lebe droben, o Vaterland,
Und zähle nicht die Toten! Dir ist,
Liebes! nicht Einer zu viel gefallen.«

»Der Tod fürs Vaterland« von Friedrich Hölderlin

Montag, 20. April 2020

Hölderlinjahr - Veranstaltungen 2020

Holderlinjahr 2020

Die württembergische Landesbibliothek Stuttgart zeigt zum Jubiläumsjahr ab 22. April eine Ausstellung "Aufbrüche -Abbrüche", die auf dem Hölderlin-Archiv der Landesbibliothek basiert, in dem sich insgesamt über 80 Prozent aller bekannten Hölderlin-Handschriften befinden. Diese Ausstellung wird anschließend auch in Straßburg zu sehen sein.

Der Literatursommer Baden-Württemberg steht in diesem Jahr unter dem Motto "Hölderlin und Hegel - 250 Jahre Sprache und Vision" und bietet von Juni bis Oktober rund 250 Veranstaltungen an 35 verschiedenen Orten.

Einen symbolischen Abschluss des Hölderlinjahres gibt es mit einer langen Hölderlinnacht am 7. November im Staatstheater Stuttgart.

Auch im europäischen Ausland gibt es ebenfalls Veranstaltungen zum Geburtstag Hölderlins: So startet beispielsweise Barcelona einen Wettbewerb und eine Ausstellung zu den drei Persönlichkeiten Hölderlin, Anne Brontë und Gianni Rodari. Ein Festival in Luzern im August widmet sich Hölderlin und Beethoven.

Samstag, 18. April 2020

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.
Die Elegie »Brod und Wein« entstand etwa um 1800 und ist nach Rüdiger Safranski und nach meiner Meinung das vielleicht schönste Gedicht Hölderlins. Die erste von neun Strophen lautet:

»Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.«


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Blog-Artikel:

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog

Samstag, 11. April 2020

Friedrich Hölderlins Anbetung der antiken Götter


Friedrich Hölderlins Anbetung der antiken Götter hat mit seiner Weltflucht aus dem irdischen Leben zu tun.

Wo in der bürgerlichen materialistischen Gesellschaft seiner Zeit eine Ödnis vorherrscht und eine Flucht aus den Konventionen nicht möglich erscheint, müssen die Götter den Sinn bringen, welcher der Gesellschaft fehlt und diesen entbehrt.

Und so huldigt Hölderlin in seinen Gedichten und seinem einzigen Roman »Hyperion« um 1800 den griechischen Göttern der Antike.

Literatur:

Hyperion

Samstag, 4. April 2020

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin






Den Dichter Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.




»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.


Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.

Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter
Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen. Die zweite Hälfte, psychisch krank, in sich verschlossen, verbrachte er in Tübingen, im Hölderlinturm: »Die Mauern stehn /Sprachlos und kalt, im Winde/klirren die Fahnen.«




Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.




Das Gedicht erschienen zuerst im »Taschenbuch für das Jahr 1805« zusammen mit acht anderen Gedichten Hölderlins unter dem Titel »Nachtgesänge«.

Charakteristisch für das Gedicht ist der unvermittelt bleibende Gegensatz, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Der harmonischen geschlossenen Form und Bilderwelt der ersten Strophe steht die Zerrissenheit der zweiten Strophe gegenüber, die Zeilenlängen sind unregelmäßig, die Zeilen stehen mit der Satzgrammatik im Konflikt. Gegenüber der sich selbst genügenden Natur in der ersten Strophe ist das lyrische Ich in der zweiten Strophe rein beobachtend. Es hat an dieser Harmonie keinen Anteil außer dem des Anschauens.

Die elegische Selbstreflexion in der zweiten Hälfte des Gedichtes drückt das Gefühl äußerster Vereinsamung aus, die Dinge sind zu Zeichen erstarrt, die nichts bedeuten, nur Kälte und Starre ausstrahlen. Das lyrische Ich weiß nicht, wie es zur Welt steht, es ist auf sich selbst zurückgeworfen und verloren in seiner grundlosen Subjektivität.

Das Gedicht versucht nicht, die Trennung von Welt und Ich in einer höheren Idee aufzuheben, vielmehr wird die existentielle Heimat- und Ratlosigkeit des Menschen als Daseinsbefund offen gelassen. Darin steht das Gedicht außerhalb der ästhetischen Norm seiner Zeit: Es zeigt nicht jene Autonomie der Kunst gegenüber einer schlechten Wirklichkeit, von der aus dem Künstler die Versöhnung von Ideal und Leben im Reiche des ästhetischen Schein gelingt. Der Verfasser solcher Zeilen bleibt vielmehr im schmerzlich Empfundenen stecken, befreit sich nicht aus dessen Unmittelbarkeit und legt somit den Verdacht unzureichender ästhetischer Schaffenskraft, wenn nicht gar, wie wir sehen werden, nachlassender Geisteskraft, nahe.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte

Sämtliche Gedichte und Hyperion von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de

Blog-Artikel:

»Hälfe des Lebens« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog


Friedrich Hölderlin Huldigung




Kaum ein anderer Dichter fordert die Künste und seine Leserschaft bis heute so heraus wie er. Mit seinen kühnen Sprachexperimenten, die keiner Strömung, weder der Klassik noch der Romantik, zuzuordnen sind, führte er die Dichtung in die Moderne.

Seine tragische Lebensgeschichte zwischen Genie und Krankheit spiegelt die politischen und kulturellen Kämpfe im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution: um bürgerliches Selbstbewusstsein, Demokratie und Menschenrechte.

Während Hölderlin seinen Zeitgenossen als Außenseiter galt, feiern die Bundesrepublik und mit ihr die literarische Welt sein Jubiläum.

Der Literatursommer Baden-Württemberg steht in diesem Jahr unter dem Motto "Hölderlin und Hegel - 250 Jahre Sprache und Vision" und bietet von Juni bis Oktober rund 250 Veranstaltungen an 35 verschiedenen Orten. Die württembergische Landesbibliothek Stuttgart zeigt zum Jubiläumsjahr ab 22. April eine Ausstellung "Aufbrüche -Abbrüche", die auf dem Hölderlin-Archiv der Landesbibliothek basiert, in dem sich insgesamt über 80 Prozent aller bekannten Hölderlin-Handschriften befinden. Diese Ausstellung wird anschließend auch in Straßburg zu sehen sein.

Einen symbolischen Abschluss des Hölderlinjahres gibt es mit einer langen Hölderlinnacht am 7. November im Staatstheater Stuttgart. Im europäischen Ausland gibt es ebenfalls Veranstaltungen zum Geburtstag Hölderlins: So startet beispielsweise Barcelona einen Wettbewerb und eine Ausstellung zu den drei Persönlichkeiten Hölderlin, Anne Brontë und Gianni Rodari. Ein Festival in Luzern im August widmet sich Hölderlin und Beethoven.


Johann Kreuzer, Präsident der Hölderlin-Gesellschaft in Tübingen, sagte, Hölderlin habe noch immer weltweit eine ungebrochene Wirkung. So sei Hölderlin nicht nur Lieblingsdichter in Japan, sondern auch in China, wo beispielsweise bei manchen Hochzeitszeremonien Hölderlinsprüche verwendet werden. Auch in Südamerika sei der schwäbische Poet sehr gefragt.