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Samstag, 25. Juni 2022

Friedrich Hölderlins Spätwerk



Während sich die Wissenschaft mit Erfolg um Hölderlins Bedeutung in der Geschichte des deutschen Idealismus bis zur Jahrhundertwende bemüht, d. h. in der Zeit, in welcher der›Hyperion<, der >Empedokles< und die theoretischen Schriften entstanden, blieben die Jahre nach 1800 und damit das überragende lyrische Spätwerk weitgehend außerhalb des philosophischen und historischen Fragehorizonts. Lyrik, mochte sie von noch so hoher geistiger Intensität zeugen, schien trotz der gerade bei Hölderlin schon immer naheliegenden Einsicht in den inneren Zusammenhang von Denken und Dichten in kein Kontinuum der Reflexion und in keinen systematisch beschreibbaren Horizont integrierbar. Das hatte nicht nur zur Folge, daß das Spätwerk in dieser Hinsicht beinahe eine terra incognita blieb; man glaubte auch Erkenntnisse, die sich aus der Analyse des früheren Werks ergaben, einfach auf das spätere übertragen und es im übrigen vernachlässigen zu können. Nicht zuletzt ging so die Frage nach einer möglichen weiteren Entwicklung
von Hölderlins dichterischem Denken fast verloren — nach einer Entwicklung, die sich doch für die ebenfalls nur knapp bemessenen Schaffensjahre vor der Jahrhundertwende klar abzeichnete.

Samstag, 18. Juni 2022

»Hyperion« von Friedrich Hölderlin

Hyperion

Hyperion

"Wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht wie Lebensluft ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und groß sind alle Herzen, und Helden gebiert die Begeisterung." Hölderlins "Hyperion" entfacht wahrhaftig eine freudige Erregung, ob der wunderschönen Sprache und der tiefen Reflexionen über die Frage nach der Selbstverwirklichung im Spannungsverhältnis von Ideal und Wirklichkeit. "Wie die Zephyre irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit selig umher. (...) Und all dies war die Sprache eines Wohlseins..."



"Die Sprache ist ein großer Überfluss. Das Beste bleibt doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe wie die Perle im Grunde des Meers.", schreibt Hyperion an Bellarmin. Friedrich Hölderlin macht diese Perle seinem Leser zugängig. Man muss gar nicht so tief nach ihr tauchen.

"Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns, wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt, sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählich waffenfähig wird."

Aus der Rückschau korrespondiert der Titelheld mit einem gewissen "Bellarmin" über Ereignisse in Griechenland zur Zeit der Griechisch-Türkischen Kriege. Eine große, rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal, ist Hyperion, dem literarischen Helden, zu Eigen, die das "Geschehen" in einem zentralen Konflikt leitet. Diotima und Alabander inszeniert Hölderlin als Kontrastfiguren, an denen sich Hyperion aufreizt. Da ist zum einen die Inbrunst an die Geliebte und Rückzug in das private Glück des Idylls versus militanter Einsatz für eine bessere Welt im Bund mit dem besten Freund.

Die Disharmonien und Kontroversen führen zur Auslöschung der Kontrastfiguren, so dass schließlich der desillusionierte Hyperion allein überlebt und in Deutschland unter all den "Barbaren von alters her (...), tief unfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien (...), dumpf und harmonielos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes" sein Credo resignativ gebrochen zu Papier bringen kann.

Es ist mehr eine psychologische Autobiographie, eines hochintelligenten und sensiblen Menschen, der sich hinter seiner "Fiktion" versteckt.

Wie Nietzsche ist Hölderlin wohl durch eine harte Kindheit gegangen, auch wenn er dies immer verleugnet hat, auch vor sich selbst (ersterer hat seinen Wut dann auf die Gesellschaft "entladen" und so wichtige Erkenntnisse gewonnen, letzterer ist der Wirklichkeit "entflohen"). Hier wurzelt dann auch sein Seelenleid, der dieses Genie leider von Innen aufgefressen hat. Was er in diesem Buch beschreibt, ist die typische Gefühlslage und Geschichte derartiger Menschen.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."


aus „Hyperion“, Friedrich Hölderlin
Was bleibt, ist ein Leben, welches die deutsche Sprache zumindest teilweise beeinflusst, aber noch viel mehr bereichert hat. Zu Lebzeiten vergessen, kam er danach zu Ruhm, doch heute ist er wieder nur ein obskurer Autor, da er schlicht und einfach kein massenkompatibles Werk hinterlassen hat. Das unterscheidet ihn von Goethe und Schiller, die aber - es tut mir leid - um einiges "langweiliger" sind. In einem anderen, besseren Leben wäre er vielleicht ein großer Naturforscher oder ähnliches geworden, und hätte sich nicht hinter der "Poesie" versteckt, um die Realität zu verdrängen!

Literatur:

Hyperion

Hyperion

Samstag, 12. September 2020

Friedrich Hölderlin als Philosoph


Vor 250 Jahren, am 20. März 1770, in Lauffen am Neckar geboren, wuchs Hölderin in einem pietistisch geprägten Umfeld auf. Während des Theologiestudium am Tübinger Stift schloss er Freundschaft mit Hegel und Schelling und bildete mit ihnen einen intellektuellen Bund. Angesteckt vom Geist der Französischen Revolution träumten sie vom Aufbruch in eine neue Epoche. "Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!" heißt es in dem gemeinsam verfassten Text als einem frühen Geistesfunken, der als "das älteste Systemprogramm deutschen Idealismus" in die Philosophiegeschichte einging.

Zum allgemeinen Horizont von Hölderlins Werken gehören ihre deutlich hervortretenden theologischheilsgeschichtlichen Voraussetzungen, die geschichtliche Dimensionierung der Theodizee, ferner die Wandlung des geschichtsphilosophischen Denkens von Vokal= über Herder bis Hegel und das sich bereits abzeichnende Ende der Geschichtsphilosophie in der nachidealistischen Epoche des 19. Jahrhunderts. Ihr spezieller historischer Ort ist derjenige der idealistischen Geistphilosophie. Für sie ist die Geschichte die Selbstverwirklichung des Geistes und die Geschichtsbetrachtung selbst, wie Hegel wiederholt betont, eine säkulare Form der Theodizee, welche den denkenden Geist mit dem Negativen in der Geschichte versöhnt.

Fundamental ist ein entschieden teleologisches Denken, dem sich Geschichte noch nicht resignativ, wie später für Jacob Burckhardt, auf bloße Kontinuität reduziert, und erst recht nicht, wie für Goethe, als ein „Gewebe von Unsinn für den höheren Denker" und als eine „ungeheure Empirie" darbietet, deren Ungeheures in einem jede Sinnwahrnehmung obstruierenden Pluralismus weitgehend isolierter, jedenfalls aber sich nicht in eine Gesamtordnung fügender Geschehnisse liegt; ein teleologisches Denken, das sich vielmehr gerade angesichts der säkularen Skepsis und auch des scharfen Bruchs, den das epochale Ereignis der Französischen Revolution für das historische Bewußtsein bedeutete, bei Hölderlin noch einmal in einer äußersten Anstrengung artikuliert.

Die Kreise der drei begabten Studenten trennten sich Abschluß des Theologiestudium am Tübinger Stift und sollten sich später an anderer Stelle wiederfinden. Von November 1794 bis Mai/Juni 1795 hielt sich Hölderlin in Jena auf, wo er Fichtes Vorlesungen hörte. Die Auseinandersetzung mit Fichtes Denken mündete in eine grundsatzphilosophische Skizze, die in der Großen Stuttgarter Hölderlin Ausgabe den Titel »Urteil und Sein« trägt.

Für Kant und Fichte galt der Primat der praktischen Philosophie, der Ethik, für Hölderlin ist die Ästhetik die Königsdisziplin der Philosophie. Bei den Vorbereitungen zu einer literarischen Zeitschrift (das Projekt scheiterte) entfaltet Hölderlin seine Ästhetik und Poetologie in mehreren Manuskripten in systematischer Form. Diese sog. Homburger Fragmente entstanden im Jahre 1799. Grundlegend für diese Fragmente war Hölderlins Lehre vom Wechsel der Töne. Hölderlin scheint dabei Schillers Unterscheidung von naiver und sentimentalischer Dichtung weiterentwickeln zu wollen.

In dem Fragment »Über den Unterschied der Dichtarten« legte Hölderlin seine Auffassung von der Tragödie als höchster Gattung dar. Der Text »Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes« stellte das umfangreichste der Fragmente Hölderlins dar; es ist nicht nur ein poetologischer, sondern auch ein metaphysisch-spekulativer Text, der das Thema der notwendigen Vereinigung von Subjekt und Objekt im Sein variiert und zum Ausgangspunkt einer differenzierten Ästhetik und Poetik macht.

Hölderlin hat kein einziges seiner philosophischen Manuskripte ausgearbeitet und veröffentlicht. Dennoch übte er einen großen Einfluss auf seine Studienfreunde Schelling und Hegel aus. Von beiden war er als philosophischer Gesprächspartner anerkannt. Von 1797 bis 1800 war er Hegels philosophischer Mentor. So war seine Vereinigungsphilosophie war von großer Bedeutung für die Dialektik Hegels.



Weblink:

Hölderlin-Matinee - "Ach! Der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt." - www.mdr.de

Samstag, 28. März 2020

Literarische Dauerausstellung im Hölderlinhaus in Lauffen

Hölderlinhaus für alle

Die ersten Jahre seiner Kindheit hat der junge Hölderlin in der Nordheimer Straße 5 in Lauffen am Neckar verbracht. Das elterliche Haus war ein barockes Wohngebäude aus dem Jahr 1750.

Im Alter von vier Jahren musste der junge Friedrich Hölderlin wegen des Todes seines Vaters die Heimatstadt verlassen.


Das elterliche Haus wurde zur Feier denkmalgerecht restauriert und mit einer literarischen Dauerausstellung versehen. Ein Wechselausstellungsraum und der angrenzende Klosterhof werden das Hölderlinhaus zu einem literarisch-künstlerischen Erlebnisort machen.

21.3. - 29.3.: Hölderlinhaus für alle

Das Hölderlinhaus ist für alle Interessierten von 10 - 18 Uhr geöffnet; Der Eintritt ist frei.

Lauffener Einwohner haben das ganze erste Jahr vom 21.3.2020 bis zum 20.3.2021 freien Eintritt im Hölderlinhaus!

Freitag, 20. März 2020

Friedrich Hölderlin 250. Geburtstag





Friedrich Hölderlin

Friedrich Hölderlin wurde vor 250 Jahren am 20. März 1770 als Sohn eines Klosterpflegers und einer Pfarrerstochter in einem pietistischen Haushalt in Lauffen am Neckar geboren. Friedrich Hölderlin war ein von der schwäbischen Romantik geprägter Dichter und ein bedeutender Schriftsteller und Dichter der Klassik.

Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängte den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebellierte er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Im Jahr 1789 wehte die Revolution in Frankreich nach Deutschladn hinüber und hallte auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

Hölderlin gilt als einer der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache, versiert in verschiedenartigen Kunstformen der Poesie, ein Dichter, der in unterschiedlichen schöpferischen Phasen seines Lebens verschiedenartige Poesieformen wie Oden, Elegien und Hymnen veröffentlichte. Zu seinen Hauptwerken gehören neben Gedichtbänden sein einziger Roman »Hyperion« (1797-99) und das Drama »Empedokles« (1798). Er hat neben dem »Hyperion« vor allem große Hymnen und Elegien geschaffen und eine außerordentliche poetische Strahlkraft entwickelt.

Er studierte von 1788 bis 1793 Theologie im Tübinger Stift, wo er unter anderem auf den Philosophen Hegel traf. Hölderlin war mit Schelling und Hegel befreundet, erst Kantianer (als Hörer Fichtes), dann Verkünder eines ästhetischen Pantheismus in seinem Roman »Hyperion«. Nach der Entlassung begann Hölderlins Flucht vor dem von ihm ungeliebten Pfarrerberuf.

Holderlinjahr 2020

1795 zog der nach Frankfurt am Main, um seine neue Hofmeisterstelle bei Susette Gontard, seiner Muse »Diotima« anzutreten. Als Gontard von der Beziehung seiner Frau zum Erzieher des Sohnes erfuhr, musste Hölderlin 1798 seine Tätigkeit im Haus des Bankiers beenden.

Er zog zu seinem Freund Isaak Sinclair nach Bad Homburg und begleitete ihn im Novmeber zum Rastatter Kongreß. 1801 trat Hölerlin seine dritte Hofmeisterstelle bei der Familie Gonzenbach in Hauptwil bei St. Gallen an, die er jedoch schon bald wieder kündigte.

"Wir sind nichts. Was wir suchen ist alles."

Friedrich Hölderlin

Hölderlin drängte es aus der Enge der bürgerlichen Konvention in die ferne Welt hinaus. Er sehnte sich nach einer Harmonie zwischen Mensch und Natur, wie er sie in einem idealisierten Bild des alten Griechenland erblickte und für die Zukunft wieder erhoffte.

Hölderlin galt als sehr begabter Dichter, denn seine feierlich-ernsten, manchmal schwermütigen Gedichte in altgriechischen Vers- und Strophenformen sind von einer hohen sprachlichen Schönheit.

Im Jahr 1801 begab sich Hölderlin für drei Monate in die Schweiz nach Hauptwil und unterrichtet die jüngere Schwester vom Kaufmann Emanuel von Gonzenbach. Im folgenden Jahr begibt sich Hölderlin nach Bordeaux und arbeitet dort erneut als Hauslehrer, kehrt aber nach wenigen Monaten zurück ins Schwabenland.

1802 traf er in Stuttgart ein, sein gesundheitlicher Zustand war desolat, so daß ihn seine Freunde aufgrund seines verwirrten Zustandes kaum wiedererkannten. In dieser Zeit erhielt Hölderlin die auch Nachricht vom Tod Susette Gontards, er ging zurück nach Nürtingen zu seiner Mutter und arbeitete an der Übersetzung von Sophokles und Pindar.

1805 wurde mit seinen »Nachtgesängen« auch das berühmte kurze Gedicht »Hälfte des Lebens« veröffentlicht.

    Friedrich Hölderlin-Werke


Gedichte
Sämtliche
Gedichte und
Hyperion
Hyperion
Hyperion
Hyperion
Hyperion
Empedokles

Empedokles

Nach dem Tod seiner Geliebten Susette Gontard im Jahr 1802 verfiel er in Raserei und seine Stimmung trübte sich zunehmend ein. Er begann, angesichts seiner Trauer und des Unverständnisses seiner Angehörigen vor Wut zu rasen. Tiefe Depressionen, Verbitterung und gelegentliche cholerische Wutanfälle wechselten zu dieser Zeit bei ihm einander ab.

Friedrich Hölderlin wurde 1806 von Homburg in ein Klinikum nach Tübingen gebracht. Hölderlin galt ab diesen Zeitpunkt als wahnsinnig und kam ab 1807 zur Pflege bei der Tübinger Tischlerfamilie Ernst Zimmers.
In den letzten 36 Jahren lebte er in deren Haus in einer Teestube oberhalb des Neckartals, heute als Hölderlinturm bekannt.



Zu seinen Hauptwerken gehören der Roman »Hyperion« (1797-99) und das Drama »Empedokles« (1798). Er verfasste zudem zahlreiche Gedichte, Briefe und theoretische Schriften.

1805 wurde mit seinen »Nachtgesängen« auch das berühmte kurze Gedicht »Hälfte des Lebens«, eine dunkle Vorahnung, dessen, was auf ihn zukommen sollte, veröffentlicht.

Er verfasste zudem zahlreiche Gedichte, Briefe und theoretische Schriften. Zu seinen bekanntesten Gedichten gehören »Andenken«, »Hälfte des Lebens«.

Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung und starb am 7. Juni 1843 in Tübingen.

Seine letzte Ruhestätte fand der Dichter auf auf dem Tübinger Stadtfriedhof.

Hölderlin


Weblinks:

Friedrich Hölderlin-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de


Friedrich Hölderlin-Zitate - Zitate-Portal - www.die-zitate.de


Weblinks:

Hölderlin-Museum - www.hoelderlinmuseum.de

Hölderlin-Biographie - www.grosse-lieratur.de

Hölderlin-Biografie - www.hoelderlin-friedrich.de

„Des hat uns grad ne g?fehlt!“ - DER SPIEGEL 49/1976

Samstag, 14. März 2020

»Hölderlin. Komm ins Offene Freund!« von Rüdiger Safranski

Friedrich Hölderlin

Noch immer ist Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag am 20. März 2020 begangen wird, schwer zu vermitteln. Wer nicht an seinen Elegien das Feuer der Begeisterung fängt, wer nicht offen für "Göttliches" ist, dem wird wohl kaum eine Annäherung gelingen - wie auch sein jüngster Biograf im Vorwort festhält.

Dem ahnungslosen und böswilligen Rezensenten des "Spiegel" hat dieser Satz gereicht, um das ganze Buch abzulehnen. Nichtsdestotrotz ist Rüdiger Safranski wieder ein großer Wurf gelungen, der die Reihe seiner anderen populären Bildungsschriften erweitert - seien es die einzigartigen Biografien über E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer, Heidegger, Nietzsche, Schiller und Goethe, oder thematische Abhandlungen über das Böse, die Wahrheit, die Zeit und die Romantik.

Der beste und erfolgreichste Weg eines Biografen, sich einer Person anzunähern,
ist dabei stets eine eigene Interpretation des zu Portraitierenden.

Holderlinjahr 2020

Safranski will keine Fach-Gelehrsamkeit ausbreiten, sondern Leser erreichen. Auch sein neues Hölderlin-Buch ist nicht für Germanisten geschrieben, nicht für "bloße Fachmenschen und Philister" (Nietzsche). Er schildert lebhaft und textorentiert (an der Werkausgabe von Michael Knaupp) die Entwicklung von Leben und schriftstellerischem Werk des sensiblen, empfindsamen und verletzlichen Dichters, den in seiner Genialität dasselbe Schicksal wie den Maler van Gogh und den Philosophen Nietzsche erreicht.

Im Tübinger Stift bildete Hölderlin mit Hegel und Schelling ein geistiges Trio, das die Parole "Reich Gottes" ausgab, bevor jeder seine eigenen Wege ging. In Jena waren ihm dann Schiller und Fichte Leitsterne. Die privaten Verwicklungen bis zum Zusammenbruch, vor allem die unerfüllt bleibende Liebesbeziehung zur Frankfurterin Susette Gontard, seiner "Diotima" im Hyperion-Roman, aber auch die auffallend enge Bindung zur Mutter, die aus ihm unbedingt einen Pfarrer machen wollte, werden einfühlsam geschildert.

Holderlinjahr 2020

Zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins ist Rüdiger Safranskis neue Biografie »Hölderlin. Komm ins Offene Freund!« von Rüdiger Safranski über den großen unbekannten under Welt entrückten Dichter Dichter erschienen.

Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach.

Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern. Rüdiger Safranskis Biografie gelingt das auf bewundernswerte Weise.



Friedrich Hölderlin gehört zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Er hat neben dem "Hyperion" vor allem große Hymnen und Elegien geschaffen und eine außerordentliche poetische Strahlkraft entwickelt. Er wurde 1870 im schwäbischen Lauffen geboren und gelangte über die Klosterschulen Denkendorf und Maulbronn zum Studium an der Tübinger Universität ins Tübinger Stift. Dort war er mit Schelling und Hegel auf der gleichen Stube. Gemeinsam pflegten sie die philosophische Diskussion und teilten ihre Begeisterung über die Ideale der Französischen Revolution.

Eigentlich bestimmt zu einer theologischen Laufbahn, kämpfte er verzweifelt dagegen an und versuchte sich als Schriftsteller und in verschiedenen Anstellungen als Hauslehrer eine unabhängige berufliche Existenz zu schaffen. Der elf Jahre ältere Schiller hat Hölderlin gefördert.


Neue Hölderlin-Biografie:

Hölderlin. Komm ins Offene Freund!
Hölderlin. Komm ins Offene Freund! von Rüdiger Safranski

Hölderlin



Weblinks:

Friedrich Hölderlin-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Freitag, 15. November 2019

»Hölderlins Geister« - Rezensionsnotiz in der SZ

Hölderlins Geister
Hölderlins Geister
von Karl-Heinz Ott

Rezensionsnotiz in der »Süddeutschen Zeitung« vom 15.11.2019

Helmut Böttiger lauscht Karl-Heinz Otts Plädoyer für eine sprachmelodische Einlassung auf Hölderlin anstelle des ewigen "ideologischen Gegrapsches". Beipflichten mag er dem Autor, wenn dieser mit Ironie und Gelehrsamkeit essayistisch, assoziativ an Hölderlin kratzt, ihn lustvoll dekonstruiert und seine Wirkungsgeschichte nachzeichnet, vor allem in Person Martin Heideggers. Denkmoden der vergangenen Jahrzehnte treten laut Böttiger dabei zutage, Tübinger Genrebilder und nicht zuletzt des Tübinger Meisters "poetische Antriebskraft".

Samstag, 26. Oktober 2019

»Hölderlins Geister« von Karl-Heinz Ott

Hölderlins Geister
Hölderlins Geister

Karl-Heinz Ott, 1957 in Ehingen an der Donau geboren, wurde für sein Werk mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises (1999), dem Alemannischen Literaturpreis (2005), dem Preis der LiteraTour Nord (2006), dem Johann-Peter-Hebel-Preis (2012) und dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2014). Karl-Heinz Ott gilt als profunder Kenner von Friedrich Hölderlin.

Der Autor tastet sich in seiner Biografie über eine Vielzahl an bedeutenden Philosophen, Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern an den bekannten, weitgehend aber doch unbekannte Dichter heran. Er bricht mit Mythen und schenkt dem Leser einen breiten wie tiefen Einblick in sein Leben und Werk, indem er einen Bogen von der Unterstellung eines Verrückten bis zum revolutionären Dichter spannt. Mit Otts Buch "Hölderlins Geister", wird man zum lernenden Leser.

Karl-Heinz Ott gliedert die ca. 235 Seiten in fünf größere Kapitel, die ihrerseits wieder mehrere kurze Unterabschnitte beherbergen, die teils nur wenige Zeilen zu einem bestimmten Thema enthalten. Diese lockere assoziativ-essayistische Bauweise lässt sich sehr gut lesen, man kann eigentlich fast überall im Buch einsteigen und findet immer Stoff zum Nachdenken oder weiteren Nachschlagen (bzw. Googeln).

Zahlreich sind die Querverweise besonders auf philosophische Themen, da ja gerade in diesem Bereich Hölderlin sowohl von rechts (George, Heidegger und Nazivordenker) als auch von links (Sozialismus, 68er-Bewegung) vereinnahmt, nach eigenem Gutdünken umgebogen und letztlich schwer missbraucht wurde, doch Hölderlin lässt sich nicht auf bestimmte Positionen reduzieren und politisch vereinnahmen.

Überhaupt liegt der Schwerpunkt von Otts Betrachtungen auf Hölderlins zwiespältigem Verhältnis zur Philosophie seiner Tage (besonders zu der seiner Stiftskameraden Hegel und Schelling), sowie seiner eigenwilligen Rezeption der griechischen Antike. Hier geht Ott durchaus zu Recht kritisch mit dem Jubilar und seiner merkwürdigen Verquickung von Antikem und Christlichem ins Gericht.

Hölderlin war eben kein Philosoph, aktiver Weltverbesserer oder gar politischer Vordenker und taugt somit nicht als Ahnherr irgendwelcher späterer Denk- oder Gesellschaftssysteme, egal welcher Couleur. Letztendlich bleibt für uns heutige Menschen Hölderlins großartige Behandlung der deutschen Sprache, seine ungebändigte, nur schwer logisch oder gar akademisch zu deutende visionäre poetische Kraft: ein genialer Dichter- nicht weniger, aber auch nicht mehr.


Dies flüssig und fundiert darzustellen und dabei eine Fülle wertvoller Denkanstöße zu geben, gelingt dem Autor ausgezeichnet, auch wenn sich Etliches im Verlaufe des Buches wiederholt und man manchmal das Gefühl einer allzu frei zwischen den Themen hin- und hergleitenden Schreibweise hat. Amüsant und wohltuend ist dabei der zumeist milde Spott, mit dem Ott die wortmächtigen Verfechter einer vorgeblich „reinen“, in Wahrheit jedoch zutiefst ideologisch gefärbten Hölderlin-Exegese überzieht.

Otts leichtverständlicher, flüssiger und oft witzig-ironischer Schreibstil darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich „Hölderlins Geister“ an einen akademisch vorgebildeten Leserkreis wendet und für Einsteiger nicht geeignet ist.

Literatur:;

Hölderlins Geister
Hölderlins Geister
von Karl-Heinz Ott