Samstag, 19. Juni 2021

Friedrich Hölderlin und seine Dichtkunst


Kaum ein anderer Dichter fordert die Künste und seine Leserschaft bis heute so heraus wie er. Mit seinen kühnen Sprachexperimenten, die keiner Strömung, weder der Klassik noch der Romantik, zuzuordnen sind, führte er die Dichtung in die Moderne.

Die Gedichte Hölderlins zeugen von großer Sprache, hohem Gedenken und unerfüllter Sehnsucht. So dichtete er als graecomanischer Deutscher Hymnen etwa über den Neckar, den Rhein oder den Main und träumte derweil des Olymps oder griechischer Gestade am Ister. Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister ("So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark") träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde ("Bellarmin").

Hölderlin gilt bis heute als rätselhaft-unverstandener Dichter, in dessen pathetische Verse man immer schon viel hineindeuten konnte.



Hölderlin gilt als sehr begabter Dichter. Seine feierlich-ernsten, manchmal schwermütigen Gedichte in altgriechischen Vers- und Strophenformen sind von einer hohen sprachlichen Schönheit. Ein hoher Ton, ein hymnischer oder elegischer Weltzugang, war seinen Dichtungen zutiefst eigen.

„Er wollte ein Priester der Poesie sein!“
Friedrich Hölderlin war ein Dichter der sich den hohen Formen der Dichtkunst zuwandte, die da sind: Hymne, Ode, Elegien.

Hölderlins Lyrik ist zum Teil und nicht zuletzt in ihren formalen Eigenschaften eine Lyrik der Schwerelosigkeit, die die Luft als ihr eigenes Element beschwört. Nicht von ungefähr ist der Äther der kosmologische
Begriff, der am häufigsten in den Texten des Dichters vorkommt.

1805 erschien der Zyklus "Nachtgesänge", in dem auch das berühmte, mit Blick auf sein weiteres Schicksal prophetisch anmutende Gedicht "Hälfte des Lebens" enthalten ist. In der zweiten Strophe heißt es: "Weh mir, wo nehm’ ich, wenn / Es Winter ist, die Blumen und wo/ Den Sonnenschein".

Im Januar 1811 schrieb er:

»Das angenehme dieser Welt hab ich genossen
Die Jugendstunden sind wie lang! wie lang! verflossen.
April und Mai und Julius sind ferne.
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.«


Seine Gedichte sind schwer zu lesen, sind aber voller Enthusiasmus geschrieben.
z.B. aus der »Hymne an die Göttin der Harmonie«.

»Geister! Brüder! unser Bund erglühe
von der Liebe göttlicher Magie.
Unbegrenzte reine Liebe ziehe
freundlich uns zur hohen Harmonie.
Sichtbar adle sie die treuen Söhne,
schaff in ihnen Ruhe, Mut und Tat,
und der heiligen Entzückung Träne,
wenn Urania der Seele naht.«

Friedrich Hölderlin in Homburg


Friedrich Hölderlin hat zwei mal zwei Jahre seines Lebens in Homburg verbracht. Ohne Musenhof zu sein, herrschte hier ein Klima, in dem der Dichter den »Hyperion« vollenden und bedeutende Oden und Elegien schaffen konnte. Die Hymne »Patmos« ist dem Landgrafen gewidmet. Ihn achtete er hoch und nahm ihn als "ächt edlen Menschen" ganz anders wahr als seinen despotisch herrschenden Landesherrn in Württemberg.

Es ist kein Zufall, daß sich die ersten Verse des Gesangs auf der Bronzetafel über dem Abstieg zur Fürstengruft in der Homburger Schlosskirche wieder finden. Weitere Verse aus "Patmos" führen bis in die Tiefe hinab zu den Toten. Allerdings war diese Verknüpfung, die eine vertraute Beziehung von Dichter und Fürst suggeriert, das Werk der Nachwelt. Zu Lebzeiten hat es eine solche Nähe zu dem Landgrafen nie gegeben, und es ist nicht einmal sicher, ob sie sich persönlich begegnet sind.

Samstag, 12. Juni 2021

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin



Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.

Ihr teuren Ufer, die mich erzogen einst,
Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
Die mich behüteten einst, der Heimat

Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
Sterbliche singen, mir aus dem Busen.

Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 5. Juni 2021

Hölderlin - der kranke Dichter (K)

Porträt von Friedrich Hölderlin | Bild: picture-alliance/dpa

Friedrich Hölderlins Leben - gGeboren am 20. März zu Laufen am Neckar und gestorben am 7 Juni 1843 in Tübingen -
war schicksalshaft von physischer und körperlichen Erkrankungen geprägt.

Misshandlungen während der 231-tägigen Zwangsbehandlung im Krankenhaus, der von Autenrieth geleiteten Klapse, führten dazu, daß Hölderlin danach ein zum psychischen Krüppel Geschlagener war. Einer, der sich in sich zurückzog, mit der Außenwelt nicht mehr oder kaum noch kommunizierte. Keinesfalls aber war Hölderlin ein Umnachteter, Schwachsinniger.

Seine tragische Lebensgeschichte zwischen Genie und Krankheit spiegelt die politischen und kulturellen Kämpfe im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution: um bürgerliches Selbstbewusstsein, Demokratie und Menschenrechte.

Am Eingang des Tübinger Hölderlin-Turms stand jahrelang der Satz aufgesprüht: „Der Hölderlin isch et veruckt gwä!“ Ein Verrückter? Ein Revolutionär? Schwäbischer Idylliker? Oder der Vorreiter aller modernen Poesie? Friedrich Hölderlin, der Mann im Turm, ist umkämpft wie kein zweiter deutscher Dichter. Im 19. Jahrhundert fast vergessen, im 20. Jahrhundert vom George-Kreis wiederentdeckt, von den 68ern als Revolutionär gefeiert.

Hölderlin ist schwierig. Sperrig, dunkel, kompliziert. Bisweilen kaum zu ertragen in seiner hochfliegenden Begeisterungsgebärde. Doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das einen entweder packt oder zurückstößt, aber keinesfalls gleichgültig lässt: seine Sprache. Die Wucht, die Geschmeidigkeit, der Glanz und das Aufgeraute eines unerhörten, ganz eigenen Tons: Ein herzwilder, daseinsfrommer Klang, der rauschhaft pulsierend und rhythmisch jagend vorandrängt; Sturzbäche von Wörtern und Lauten, Bilderkaskaden "wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen"; schimmernde Dunkelheiten und gleißendes Berglicht. Und da ist vor allem eins: Das Gefühl, als gehe es in jeder Zeile, mit jedem Wort um Leben und Tod, um absolut alles, um einen kühnen Aufbruch bis an die Grenzen der sagbaren Welt und darüber hinaus.

Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung und starb am 7. Juni 1843 in Tübingen.


"Und mancher siehet über die eigne Zeit"


Vielleicht ist es das, was den Schrecken und zugleich die Faszination dieser Dichtung ausmacht: Ihr blutiger, tiefer, "heilignüchterner" Ernst. Hölderlin geht aufs Ganze. Er will die absolute Dichtung. Den absoluten, alles erneuernden Gesang. Einen Gesang, der den Riss in der Schöpfung heilt, die Entfremdung zwischen Menschen und öttern aufhebt, der die im Geschichts- und Kulturprozess verlorene Ureinheit von Geist und Natur, Welt und Mensch neu gründet. Einen Menschheitsgesang, der Christus und Dionysos, Orient und Okzident, Antike und Moderne, Manna und Nektar im epiphanischen Dichterwort zusammenbringt.

"Die neue Schöpfungsstunde"


Das klingt angestrengt und anstrengend, rückwärtsgewandt und irgendwie nicht von dieser Welt. Aber nichts ist falscher als das. Retro ist gar nichts an Hölderlin, er ist ein radikaler Erneuerer. Sein Griechenland ist kein Wegducken in die Vergangenheit. Hölderlin will nicht zurück, er will voran. Er braucht die Antike als Ideenlabor für die Vision und Verkündigung einer umfassenden Erneuerung der politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, ästhetischen und künstlerischen Verhältnisse. Angesteckt von den Idealen der Französischen Revolution träumt er von einer Zukunft ohne Staatlichkeit, ohne Unterdrückung und Bevormundung, vom Aufbruch in ein "freies kommendes Jahrhundert". In dieser künftigen besseren Welt integriert die Kunst alles, was jetzt noch getrennt und vereinzelt ist. Und die Poesie stellt die ursprüngliche Einheit alles Seienden wieder her. Sie und nur sie überwindet die Zerrissenheit des Denkens, überbrückt die Abgründe zwischen den Epochen, vereint die Religionen, Fächer und Individuen.

"Komm ins Offene, Freund!"


Und Hölderlin selbst? Wer ist das? Schwer zu sagen. Es gibt ein spätes Gedicht von ihm, ein Bruchstück aus der Zeit der "geistigen Umnachtung" im Tübinger Turm. In diesem Bruchstück heißt es: "Denn nirgend bleibt er. / Es fesselt / Kein Zeichen. / Nicht immer / Ein Gefäß ihn zu fassen." Wer ist hier gemeint? Der Mensch? Ein Gott? Oder Hölderlin? Das würde passen. Hölderlin lässt sich nicht auf einen Begriff bringen. Man kann ihn nicht versand- und konsumfertig zurecht konfektionieren. Und ob er gesund oder krank war, was spielt das für eine Rolle? Hölderlin ist, was seine Gedichte, Gesänge, Gedanken im Leser anstiften. Die einzige Chance, etwas Wirkliches und Substanzielles über ihn zu erfahren, besteht darin, sich der Erfahrung seines Werks auszusetzen. Dafür aber muss man ihm ins Freie, Weite, Ungebahnte folgen. In seiner großen Elegie "Brot und Wein" lädt er genau dazu ein: "So komm! Dass wir das Offene schauen, / Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/deutsch-und-literatur/hoelderlin-friedrich-dichter-100.html Der kranke Dichter

Friedrich Hölderlins Rückzug aus dem irdischen Leben


Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung.

Friedrich Hölderlin schied vor 180 Jahren am 7. Juni 1843 in Tübingen von dieser Welt.Friedrich Hölderlin war ein von der schwäbischen Romantik geprägter Dichter und ein bedeutender Schriftsteller und Dichter der Klassik.