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Mittwoch, 20. März 2024

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.


»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.

Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.

Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen.


Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de

Blog-Artikel:

»Hälfe des Lebens« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog


Samstag, 16. März 2024

»An die Deutschen« von Friedrich Hölderlin


»Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit Peitsch' und Sporn
Auf dem Rosse von Holz mutig und groß sich dünkt,
Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid
Tatenarm und gedankenvoll.

Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt,
Aus Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald?
O ihr Lieben, so nimmt mich,
Daß ich büße die Lästerung.«



Hölderlin reflektiert in diesem Gedicht die Position des deutschen Idealismus um 1800, denn auch dieser war tatenarm und gedankenvoll.


Samstag, 20. Januar 2024

»Der Winter« von Friedrich Hölderlin

Winter in der Waldheimat





Wenn ungesehn und nun vorüber sind die Bilder
Der Jahreszeit, so kommt des Winters Dauer,
Das Feld ist leer, die Ansicht scheinet milder,
Und Stürme wehn umher und Regenschauer.

Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzet die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.

»Der Winter« von Friedrich Hölderlin


Samstag, 6. August 2022

Hölderlins Hymne »Patmos« - Interpretation (K)



Dort, wo die Heimat keine Hoffnung geben kann, muss die Antike als Ersatz für das Pathos dienen. Hölderlin beginnt die Patmos-Hymne mit mystischem Pathos: Gott ist nah, näher als alles andere, denn wir sind untrennbare Teile des Allgegenwärtigen. Sein Schöpfungsplan entfaltet sich vor unseren Augen, und dennoch ist dieser göttliche Plan schwer zu fassen, da der Mensch immer eine beschränkte Sicht hat. Deshalb ist Offenbarung notwendig, wie einst auf Patmos. Die heute offenbar werdenden Zeichen bestätigen die damalige Offenbarung und weisen auf große Prüfungen hin, doch: »Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.«

Die Offenbarungen sind mittlerweile vorhanden, und die Zeiten spitzen sich zu: Die „Gipfel der Zeit“ sind nun „gehäuft“. Wohin man blickt, in allen Himmelsrichtungen („rings“), häufen sich die Zeichen der sich erfüllenden Offenbarungen („da gehäuft sind rings/ Die Gipfel der Zeit“). Doch leider werden diese Offenbarungen nicht erkannt und die Zeichen deshalb nicht richtig gedeutet. Wenn die ringsum gehäuften Gipfel des Westens und Ostens, Nordens und Südens nicht verbunden und im Gesamtbild gesehen werden, verlieren die einzelnen Offenbarungen (die Offenbarungen aller Kulturen) ihre Kraft („ermattend auf/ Getrenntesten Bergen“). Dies droht zu geschehen, wenn nichts Ent-scheidendes diese Scheidung der Gipfel überwindet, und deshalb bittet der Dichter um göttliche Hilfe.

Die Gefahr, die göttlichen Zeichen zu verkennen, muß der Mensch in seinem eigenen Leben durch leicht/lichtgebaute Brücken überwinden, um seine persönliche Aufgabe in der „Finsternis“ zu erkennen. Je größer die Gefahr ist, desto größer wird auch die entsprechende Hilfe . Gerade deshalb schreibt Hölderlin »Wo Gefahr ist, wächst/ Das Rettende«.

Dies ist insbesondere in der gegenwärtigen Phase der Menschheitsgeschichte gültig, da sich ein großer zyklischer Kreis schließt („da gehäuft sind rings [ringsum]/ Die Gipfel der Zeit“). Nah sind nun die großen Umwälzungen. Man beachte, daß das Anfangswort des Gedichtes – „Nah“ – in der elften Zeile in der gleichen Hervorhebung (in Großschreibung am Zeilenanfang) wiederholt wird. Nah ist Gott, und nah ist auch das gottgewollte Ende der Finsternis, das angekündigt wird durch die prophetischen Gottgesandten. Sie, die „Liebsten“, sind heute alle ebenfalls nah, weil die Erfüllung ihrer Prophezeiungen naht.

(Gott und Seine Liebsten leben in liebender Einheit, die symbolisch dargestellt wird durch die kongruente Wiederholung des Wortes „Nah“, gespiegelt über die Achse, die sechste Zeile, in der sich die „Adler“ befinden. Sie sind es, die Gottes Nähe und die Nähe der Liebsten erkennen und deren getrennte Offenbarungen über die Abgründe von Finsternis und Zeit hinweg verbinden. Diese verbindende Funktion der furchtlosen Adler wird versinnbildlicht durch die zentrale Stellung der „Adler“-Zeile zwischen den beiden „Nah“-Zeilen, die sich auf „Gott“ und auf „die Liebsten“ beziehen.)

Gerade jetzt, wo die Zeit sich zuspitzt und die „Liebsten/ Nah wohnen …“, ist das Rettende angesichts der wachsenden Gefahr besonders notwendig. Der Dichter erbittet dieses Rettende in Form von zwei Hilfen, die er in mystischer Verschlüsselung als „unschuldig Wasser“ und „Fittige“ umschreibt. „Unschuldig Wasser“ bezieht sich auf das reine Bewußtsein, das direkt aus der Quelle fließt und die Quelle mit dem Meer verbindet, d. h. die Trennung überwindet. Die Flügel sind, wie bereits erwähnt, die Brücken, die aus der Finsternis hinaus und über den Abgrund hinweg führen.

Mit diesen Gottesgaben des Wassers und der Flügel wird es möglich sein, zu den einzelnen Gipfeln der Zeit „hinüberzugehn und wiederzukehrn“ und die Offenbarungen im Gesamtbild richtig („treuesten Sinns“) zu verstehen, ohne sie zu verfälschen. Dies ist auch das Anliegen des Autors im vorliegenden Buch, denn die von Gott gewährte Einsicht ist das wahrhaft Rettende, das uns vor jeglicher Gefahr bewahrt.

Weblink:

Hölderlins Hymne Patmos - Armin Risi

Samstag, 16. Juli 2022

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin



Das Erntefeld erscheint, auf Höhen schimmert
Der hellen Wolke Pracht, indes am weiten Himmel
In stiller Nacht die Zahl der Sterne flimmert,
Groß ist und weit von Wolken das Gewimmel.

Die Pfade gehn entfernter hin, der Menschen Leben,
Es zeiget sich auf Meeren unverborgen,
Der Sonne Tag ist zu der Menschen Streben
Ein hohes Bild, und golden glänzt der Morgen.

Mit neuen Farben ist geschmückt der Gärten Breite,
Der Mensch verwundert sich, daß sein Bemühn gelinget,
Was er mit Tugend schafft, und was er hoch vollbringet,
Es steht mit der Vergangenheit in prächtigem Geleite.

»Der Sommer« von Friedrich Hölderlin

Video:

Friedrich Hölderlin: Der Sommer - Youtube

Samstag, 12. März 2022

Im März

Im März (1794)

Noch kehrt in mich der süße Frühling wieder,
Noch altert nicht mein kindischfröhlich Herz,
Noch rinnt vom Auge mir der Tau der Liebe nieder
Noch lebt in mir der Hoffnung Lust und Schmerz.

Noch tröstet mich mit süßer Augenweide
Der blaue Himmel und die grüne Flur,
Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,
Die jugendliche freundliche Natur.

Getrost! es ist der Schmerzen wert, dies Leben,
So lang uns Armen Gottes Sonne scheint,
Und Bilder beßrer Zeit um unsre Seele schweben,
Und ach! mit uns ein freundlich Auge weint.

Friedrich Hölderlin

Samstag, 10. Juli 2021

»Abendphantasie« von Friedrich Hölderlin

Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren izt die Schiffer zum Hafen auch,
In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
Geschäft´ger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh´ und Ruh
Ist alles freudig; warum schläft denn
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
Purpurne Wolken! und möge droben

In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb´und Leid!-
Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
Der Zauber; dunkel wirds und einsam
Unter dem Himmel, wie immer, bin ich -

Komm du nun, sanfter Schlummer! zuviel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedliche und heiter ist dann das Alter.

»Abendphantasie« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 12. Juni 2021

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin



Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.

Ihr teuren Ufer, die mich erzogen einst,
Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?

Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
Die mich behüteten einst, der Heimat

Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,

Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
Sterbliche singen, mir aus dem Busen.

Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.

»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 8. August 2020

»Kindheit« von Friedrich Hölderlin


Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir wie eine Blüte hing,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfing.
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Deine Stelle noch für meine Tränen,
Eine Welt für meine Liebe fand;

Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfingen goldne Tage mich.

Tot ist nun, die mich erzog und stillte,
Tot ist nun die jugendliche Welt,
Diese Brust, die einst ein Himmel füllte,
Tot und dürftig wie ein Stoppelfeld;
Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen
Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,
Aber hin ist meines Lebens Morgen,
Meines Herzens Frühling ist verblüht.

Ewig muß die liebste Liebe darben,
Was wir lieben, ist ein Schatten nur,
Da der Jugend goldne Träume starben,
Starb für mich die freundliche Natur;
Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,
Daß so ferne dir die Heimat liegt,
Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,
Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.


»Kindheit« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 4. Juli 2020

Die Gedichte Hölderlins

Die Gedichte Hölderlins



Die Gedichte Hölderlins zeugen von großer Sprache, hohem Gedenken und unerfüllter Sehnsucht. So dichtete er als graecomanischer Deutscher Hymnen etwa über den Neckar, den Rhein oder den Main und träumte derweil des Olymps oder griechischer Gestade am Ister. Tief unzufrieden mit der unpoetischen, amusischen Gesinnung seiner deutschen Geschwister ("So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark") träumte er sich lieber als hellenischer Musenjünger im Gedankenaustausch mit einem nur in seiner Phantasie existierenden Freunde ("Bellarmin").

Er liebt die Gemahlin eines Bankiers in Frankfurt ("Susette Gontard" alias "Diotima"), in dessen Hause er als privater Hauslehrer arbeitet. Sie ist seiner idealisierenden Liebe nicht abgeneigt, verweigert jedoch aus bürgerlicher Sicherheitssucht die Scheidung. So wird er entlassen und muss am Ende bis nach Bordeaux gehen, um eine neue Anstellung zu finden. Dort schreibt er sein schönstes Gedicht: "Andenken" (anno 1804). Unvergessen ist seine Liebe, ungefunden der Sinn der Trennung, und Alles wird verzerrt und verschoben.

"Und über langsamen Stegen,
Von goldenen Träumen schwer,
Einwiegende Lüfte ziehen.

Es reiche aber,
des dunkeln Lichtes voll,
Mir einer den duftenden Becher,
Damit ich ruhen möge; den süß
Wär unter Schatten der Schlummer.
Nicht ist es gut,
Seellos von sterblichen
Gedanken zu sein."


Diese "sterblichen Gedanken" beginnen mit den Buchstaben 'S' und 'G' wie der Name der geliebten Susette Gontard. Vielleicht ist dies nur ein Zufall, aber bei Hölderlin scheint eigentlich nichts nur ein Zufall zu sein, denn:

"(...) Es nehmet aber
Und giebt Gedächtniss die See,
Und die Lieb' auch heftet fleißig die Augen,
Was bleibet aber, stiften die Dichter."


Ein als höheres Geschick dargestelltes Sein verhilft sogar der niederigen materiellen Armut eines in jeder ideellen Hinsicht verunglückten Deutschen zu göttlichen Ehren. Und das ist am Ende sogar gerecht, denn dieser darbende Dichter stiftete ja tatsächlich etwas schönes Bleibendes!



Samstag, 18. April 2020

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.
Die Elegie »Brod und Wein« entstand etwa um 1800 und ist nach Rüdiger Safranski und nach meiner Meinung das vielleicht schönste Gedicht Hölderlins. Die erste von neun Strophen lautet:

»Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.«


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Blog-Artikel:

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog

Samstag, 4. April 2020

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin






Den Dichter Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.




»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.


Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.

Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter
Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen. Die zweite Hälfte, psychisch krank, in sich verschlossen, verbrachte er in Tübingen, im Hölderlinturm: »Die Mauern stehn /Sprachlos und kalt, im Winde/klirren die Fahnen.«




Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.




Das Gedicht erschienen zuerst im »Taschenbuch für das Jahr 1805« zusammen mit acht anderen Gedichten Hölderlins unter dem Titel »Nachtgesänge«.

Charakteristisch für das Gedicht ist der unvermittelt bleibende Gegensatz, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Der harmonischen geschlossenen Form und Bilderwelt der ersten Strophe steht die Zerrissenheit der zweiten Strophe gegenüber, die Zeilenlängen sind unregelmäßig, die Zeilen stehen mit der Satzgrammatik im Konflikt. Gegenüber der sich selbst genügenden Natur in der ersten Strophe ist das lyrische Ich in der zweiten Strophe rein beobachtend. Es hat an dieser Harmonie keinen Anteil außer dem des Anschauens.

Die elegische Selbstreflexion in der zweiten Hälfte des Gedichtes drückt das Gefühl äußerster Vereinsamung aus, die Dinge sind zu Zeichen erstarrt, die nichts bedeuten, nur Kälte und Starre ausstrahlen. Das lyrische Ich weiß nicht, wie es zur Welt steht, es ist auf sich selbst zurückgeworfen und verloren in seiner grundlosen Subjektivität.

Das Gedicht versucht nicht, die Trennung von Welt und Ich in einer höheren Idee aufzuheben, vielmehr wird die existentielle Heimat- und Ratlosigkeit des Menschen als Daseinsbefund offen gelassen. Darin steht das Gedicht außerhalb der ästhetischen Norm seiner Zeit: Es zeigt nicht jene Autonomie der Kunst gegenüber einer schlechten Wirklichkeit, von der aus dem Künstler die Versöhnung von Ideal und Leben im Reiche des ästhetischen Schein gelingt. Der Verfasser solcher Zeilen bleibt vielmehr im schmerzlich Empfundenen stecken, befreit sich nicht aus dessen Unmittelbarkeit und legt somit den Verdacht unzureichender ästhetischer Schaffenskraft, wenn nicht gar, wie wir sehen werden, nachlassender Geisteskraft, nahe.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte

Sämtliche Gedichte und Hyperion von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de

Blog-Artikel:

»Hälfe des Lebens« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

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