Samstag, 5. Juni 2021

Hölderlin - der kranke Dichter (K)

Porträt von Friedrich Hölderlin | Bild: picture-alliance/dpa

Friedrich Hölderlins Leben - gGeboren am 20. März zu Laufen am Neckar und gestorben am 7 Juni 1843 in Tübingen -
war schicksalshaft von physischer und körperlichen Erkrankungen geprägt.

Misshandlungen während der 231-tägigen Zwangsbehandlung im Krankenhaus, der von Autenrieth geleiteten Klapse, führten dazu, daß Hölderlin danach ein zum psychischen Krüppel Geschlagener war. Einer, der sich in sich zurückzog, mit der Außenwelt nicht mehr oder kaum noch kommunizierte. Keinesfalls aber war Hölderlin ein Umnachteter, Schwachsinniger.

Seine tragische Lebensgeschichte zwischen Genie und Krankheit spiegelt die politischen und kulturellen Kämpfe im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution: um bürgerliches Selbstbewusstsein, Demokratie und Menschenrechte.

Am Eingang des Tübinger Hölderlin-Turms stand jahrelang der Satz aufgesprüht: „Der Hölderlin isch et veruckt gwä!“ Ein Verrückter? Ein Revolutionär? Schwäbischer Idylliker? Oder der Vorreiter aller modernen Poesie? Friedrich Hölderlin, der Mann im Turm, ist umkämpft wie kein zweiter deutscher Dichter. Im 19. Jahrhundert fast vergessen, im 20. Jahrhundert vom George-Kreis wiederentdeckt, von den 68ern als Revolutionär gefeiert.

Hölderlin ist schwierig. Sperrig, dunkel, kompliziert. Bisweilen kaum zu ertragen in seiner hochfliegenden Begeisterungsgebärde. Doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das einen entweder packt oder zurückstößt, aber keinesfalls gleichgültig lässt: seine Sprache. Die Wucht, die Geschmeidigkeit, der Glanz und das Aufgeraute eines unerhörten, ganz eigenen Tons: Ein herzwilder, daseinsfrommer Klang, der rauschhaft pulsierend und rhythmisch jagend vorandrängt; Sturzbäche von Wörtern und Lauten, Bilderkaskaden "wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen"; schimmernde Dunkelheiten und gleißendes Berglicht. Und da ist vor allem eins: Das Gefühl, als gehe es in jeder Zeile, mit jedem Wort um Leben und Tod, um absolut alles, um einen kühnen Aufbruch bis an die Grenzen der sagbaren Welt und darüber hinaus.

Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung und starb am 7. Juni 1843 in Tübingen.


"Und mancher siehet über die eigne Zeit"


Vielleicht ist es das, was den Schrecken und zugleich die Faszination dieser Dichtung ausmacht: Ihr blutiger, tiefer, "heilignüchterner" Ernst. Hölderlin geht aufs Ganze. Er will die absolute Dichtung. Den absoluten, alles erneuernden Gesang. Einen Gesang, der den Riss in der Schöpfung heilt, die Entfremdung zwischen Menschen und öttern aufhebt, der die im Geschichts- und Kulturprozess verlorene Ureinheit von Geist und Natur, Welt und Mensch neu gründet. Einen Menschheitsgesang, der Christus und Dionysos, Orient und Okzident, Antike und Moderne, Manna und Nektar im epiphanischen Dichterwort zusammenbringt.

"Die neue Schöpfungsstunde"


Das klingt angestrengt und anstrengend, rückwärtsgewandt und irgendwie nicht von dieser Welt. Aber nichts ist falscher als das. Retro ist gar nichts an Hölderlin, er ist ein radikaler Erneuerer. Sein Griechenland ist kein Wegducken in die Vergangenheit. Hölderlin will nicht zurück, er will voran. Er braucht die Antike als Ideenlabor für die Vision und Verkündigung einer umfassenden Erneuerung der politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, ästhetischen und künstlerischen Verhältnisse. Angesteckt von den Idealen der Französischen Revolution träumt er von einer Zukunft ohne Staatlichkeit, ohne Unterdrückung und Bevormundung, vom Aufbruch in ein "freies kommendes Jahrhundert". In dieser künftigen besseren Welt integriert die Kunst alles, was jetzt noch getrennt und vereinzelt ist. Und die Poesie stellt die ursprüngliche Einheit alles Seienden wieder her. Sie und nur sie überwindet die Zerrissenheit des Denkens, überbrückt die Abgründe zwischen den Epochen, vereint die Religionen, Fächer und Individuen.

"Komm ins Offene, Freund!"


Und Hölderlin selbst? Wer ist das? Schwer zu sagen. Es gibt ein spätes Gedicht von ihm, ein Bruchstück aus der Zeit der "geistigen Umnachtung" im Tübinger Turm. In diesem Bruchstück heißt es: "Denn nirgend bleibt er. / Es fesselt / Kein Zeichen. / Nicht immer / Ein Gefäß ihn zu fassen." Wer ist hier gemeint? Der Mensch? Ein Gott? Oder Hölderlin? Das würde passen. Hölderlin lässt sich nicht auf einen Begriff bringen. Man kann ihn nicht versand- und konsumfertig zurecht konfektionieren. Und ob er gesund oder krank war, was spielt das für eine Rolle? Hölderlin ist, was seine Gedichte, Gesänge, Gedanken im Leser anstiften. Die einzige Chance, etwas Wirkliches und Substanzielles über ihn zu erfahren, besteht darin, sich der Erfahrung seines Werks auszusetzen. Dafür aber muss man ihm ins Freie, Weite, Ungebahnte folgen. In seiner großen Elegie "Brot und Wein" lädt er genau dazu ein: "So komm! Dass wir das Offene schauen, / Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/deutsch-und-literatur/hoelderlin-friedrich-dichter-100.html Der kranke Dichter

Friedrich Hölderlins Rückzug aus dem irdischen Leben


Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung.

Friedrich Hölderlin schied vor 180 Jahren am 7. Juni 1843 in Tübingen von dieser Welt.Friedrich Hölderlin war ein von der schwäbischen Romantik geprägter Dichter und ein bedeutender Schriftsteller und Dichter der Klassik.

Sonntag, 16. Mai 2021

»An die Natur« von Friedrich Hölderlin

Da ich noch um deinen Schleier spielte, Noch an dir, wie eine Blüte hing, Noch dein Herz in jedem Laute fühlte, Der mein zärtlichbebend Herz umfing, Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen Reich, wie du, vor deinem Bilde stand, Eine Stelle noch für meine Tränen, Eine Welt für meine Liebe fand, Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte, Als vernähme seine Töne sie, Und die Sterne seine Brüder nannte Und den Frühling Gottes Melodie, Da im Hauche, der den Hain bewegte, Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich In des Herzens stiller Welle regte, Da umfingen goldne Tage mich. Wenn im Tale, wo der Quell mich kühlte, Wo der jugendlichen Sträuche Grün Um die stillen Felsenwände spielte Und der Aether durch die Zweige schien, Wenn ich da, von Blüten übergossen, Still und trunken ihren Othem trank Und zu mir, von Licht und Glanz umflossen, Aus den Höhn die goldne Wolke sank - Wenn ich fern auf nackter Heide wallte, Wo aus dämmernder Geklüfte Schoß Der Titanensang der Ströme schallte Und die Nacht der Wolken mich umschloß, Wenn der Sturm mit seinen Wetterwogen Mir vorüber durch die Berge fuhr Und des Himmels Flammen mich umflogen, Da erschienst du, Seele der Natur! Oft verlor ich da mit trunknen Tränen Liebend, wie nach langer Irre sich In den Ozean die Ströme sehnen, Schöne Welt! in deiner Fülle mich; Ach! da stürzt ich mit den Wesen allen »An die Natur« von Friedrich Hölderlin

Mittwoch, 24. März 2021

»Aussicht« von Friedrich Hölderlin




Der offne Tag ist Menschen hell mit Bildern,
Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget,
Noch eh des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget,
Und Schimmer sanft den Klang des Tages mildern.
Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen.
Des Menschen Sinn von Zweifeln voll, verdrossen,
Die prächtige Natur erheitert seine Tage
Und ferne steht des Zweifels dunkle Frage.

Den 24. März 1671

»Aussicht« von Friedrich Hölderlin

Donnerstag, 31. Dezember 2020

Gedanken zum Jahreswechsel



Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzt die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.

aus dem Gedicht

»Der Winter« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 26. Dezember 2020

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin


Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.

Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.

Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.

Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.

Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.

Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber

Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.

Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 10. Oktober 2020

Hölderlin-Rezeption

Holderlinjahr 2020


Ferner war er den Deutschen nie. Doch um ermessen zu können, hinter welchen Schleiern und durch welche Verzerrungen hindurch Friedrich Hölderlin heute zu den Wenigen spricht, die er in Bann schlägt, müsste man auch die Nähe nachempfinden, aus der sich einmal die Vielen ergriffen fühlten.

Frühere Leser waren mangels anderer Suchtstoffe für die prophetische Vagheit seiner Vision, deren rauschhafte Suggestivität auf einer rhythmischen Sprache von zwingender Genauigkeit beruht, vermutlich empfänglicher. Sicher gelang es ihnen aber auch besser, die Leerstelle zwischen Götterferne und der Aussicht auf einen „kommenden Gott“, die jede Generation auf ihre Weise herausfordert, mit Sinn zu füllen.

Hölderlin zu lesen, heißt deshalb mehr als für jeden anderen deutschen Dichter, seine Rezeptionsgeschichte mitzulesen. Das „weltanschauliche Gegrabsche“, das Karl-Heinz Ott in „Hölderlins Geister“ (Hanser 2019), einer brillanten Folge von Miniaturen und Kurzessays, nachzeichnet, ist keine Nebensache.


Das Vaterland ist treulos dir geworden - www.tagesspiegel.de/kultur


Hölderlins Werk lässt sich, ebenso wenig wie das von Heinrich von Kleist, in eine Schublade stecken. Er lebte und schrieb, als die später als Weimarer Klassik und Romantik bezeichneten Literaturgattungen en vogue waren. Doch entwickelte er, unabhängig von allen zeitlichen Einflüssen, seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil.

Friedrich Hölderins Werk hat über die Jahrhunderte hinweg eine ganz unterschiedliche Rezeption erfahren. Immer wieder wurde er dabei auch falsch interpretiert.

Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern. Rüdiger Safranskis Biografie gelingt das auf bewundernswerte Weise.



Sehr lesenswerter Artikel über die unterschiedliche Hölderlin-Rezeption über die Jahrhunderte

Friedrich Hölderlin gehört zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Er hat neben dem »Hyperion« vor allem große Hymnen und Elegien geschaffen und eine außerordentliche poetische Strahlkraft entwickelt.

Die Deutschen verlangen offenbar immer noch nach Hölderlin, allerdings auch immer noch nach einem präparierten, einem dem Zeitgeist angepaßten Hölderlin. Und kein anderer Dichter läßt sich anscheinend so leicht für jede Laune des Zeitgeists reklamieren.

Friedrich Hölderlin hat mit seiner Dichtung im Sinne des deutschen Idealismus zahlreiche Geister ganz unterschiedlicher Coleur heraufbeschworen, die immer wieder versucht haben, den Dichter für sich zu vereinnahmen und für ihre Zwecke politisch zu instrumentalisieren.

Einerseits von Anfang an als deutschester unter den deutschen Dichtern gefeiert und gleich auch so etwas wie Religionsersatz, waren Ablehnung und Verkennung andererseits seine ständigen Begleiter.

Das begann mit Goethe, der riet, doch lieber kleinere, niedliche Gedichte statt der ausufernden hymnischen zu verfertigen. Und das ging weiter mit Friedrich Theodor Vischer, der über Hölderlin befand: "Sein Geist hatte zu wenig vom Harten; es fehlte ihm als Waffe der Humor; er konnte es nicht ertragen, daß man noch kein Barbar ist, wenn man Philister ist" (Nietzsche hat Vischer darauf beißend geantwortet: "Ersichtlich will der Ästhetiker uns sagen: Man kann Philister sein und doch Kulturmensch ...").

Nach den Philistern waren es die Übermenschen, die Elitebewußten, in deren Hände Hölderlin fiel: Vor allem der George-Kreis stilisierte ihn zum entrückten deutschen Parsifal; und nachdem sein erster wissenschaftlicher Editor, Norbert von Hellingrath, vor Verdun gefallen war, avancierte Hölderlin zum Symbol des vaterländischen Opfertodes.

Als dieses mußte er noch einmal im 2. Weltkrieg herhalten, wo die Landser neben der Feldpostausgabe von Rilkes "Cornet" auch die des "Hyperion" im Tornister nach Rußland schleppten. im festen Glauben, Hölderlins Welt gegen die anstürmenden bolschewistischen Barbaren zu verteidigen. Aber sie fielen nicht für Hölderlins Vaterland, sondern für den faschistischen Führer, dem Hanns Johst zum 50. Geburtstag aus dem "Hyperion" zitieren mußte.

Freilich, auch Stauffenberg berief sich auf Hölderlin, als er die Waffe gegen Hitler richtete, aber auch das Vaterland, das er und seine Freunde wollten, hätte mit dem Hölderlins (der geschrieben hatte, es sei "die erste Bedingung alles Lebens und aller Organisation, daß keine Kraft monarchisch ist") aber auch gar nichts zu tun gehabt.

Selbst als alles in Scherben lag, 1945, ging noch ein Sturm der Entrüstung durch das deutsche Bildungsbürgertum, als Günter Eichs Gedicht aus dem Gefangenencamp bekannt wurde, in dem sich Hölderlin auf Urin reimte. Da zog man doch Heideggers Hölderlin-Geraune vor, den Seher wollte man sich auf keinen Fall rauben lassen -- und sei es nun auch einer des Untergangs.

Mit dem vermeintlich revolutionären Aufbruch von 1968 änderte sich prompt auch das Hölderlin-Bild: Jetzt entdeckte man plötzlich (mit Hilfe des französischen Germanisten Pierre Bertaux) den Jakobiner Hölderlin, und der "schönheitstrunkene Schwärmer" (Eduard Spranger) wurde abserviert.

Weblink:

„Des hat uns grad ne g?fehlt!“ - DER SPIEGEL 49/1976