Sonntag, 3. Juli 2022

Wilhelm Waiblingers Treffen mit Friedrich Hölderlin

Wilhelm Waiblinger


Am 3. Juli 1822 traf Wilhelm Waiblinger erstmals den damals bereits seit anderthalb Jahrzehnten als wahnsinnig geltenden Dichter Friedrich Hölderlin im Hölderlinturm zu Tübingen, bei dem er während seiner gesamten Studienzeit häufiger Gast war.

Diese Begegnungen verarbeitete er zunächst in seinem Roman »Phaeton« (1823), der ihm unter den Studenten enorm viel Bewunderung einbrachte; zudem war auch sein Gedicht-Zyklus »Lieder der Griechen« in den Handel gekommen. Später porträtierte er Hölderlin in seinem Essay »Friedrich Hölderlin’s Leben, Dichtung und Wahnsinn«, der als Beginn der Hölderlin-Forschung gilt.

Wilhelm Waiblinger war der erste Biograf Hölderlins. Waiblinger, der Hölderlin mehrmals in Tübingen besucht hat, ihn auch zu Spaziergängen und in ein von ihm gemietetes Gartenhaus einlud – freilich nicht ohne eigennützige Hintergedanken. Waiblinger wollte einen Roman über einen wahnsinnigen Künstler schreiben und Hölderlin sollte ihm hierfür als Vorlage dienen.

Das Vorgehen und die Schilderungen Waiblingers von Hölderlins vermeintlichem geistigen Zustand haben freilich etwas von einem Bild-Reporter. Waiblinger behauptete zum Beispiel, Hölderlin habe keinen Gedanken mehr entwickeln können.

Samstag, 25. Juni 2022

Friedrich Hölderlins Spätwerk



Während sich die Wissenschaft mit Erfolg um Hölderlins Bedeutung in der Geschichte des deutschen Idealismus bis zur Jahrhundertwende bemüht, d. h. in der Zeit, in welcher der›Hyperion<, der >Empedokles< und die theoretischen Schriften entstanden, blieben die Jahre nach 1800 und damit das überragende lyrische Spätwerk weitgehend außerhalb des philosophischen und historischen Fragehorizonts. Lyrik, mochte sie von noch so hoher geistiger Intensität zeugen, schien trotz der gerade bei Hölderlin schon immer naheliegenden Einsicht in den inneren Zusammenhang von Denken und Dichten in kein Kontinuum der Reflexion und in keinen systematisch beschreibbaren Horizont integrierbar. Das hatte nicht nur zur Folge, daß das Spätwerk in dieser Hinsicht beinahe eine terra incognita blieb; man glaubte auch Erkenntnisse, die sich aus der Analyse des früheren Werks ergaben, einfach auf das spätere übertragen und es im übrigen vernachlässigen zu können. Nicht zuletzt ging so die Frage nach einer möglichen weiteren Entwicklung
von Hölderlins dichterischem Denken fast verloren — nach einer Entwicklung, die sich doch für die ebenfalls nur knapp bemessenen Schaffensjahre vor der Jahrhundertwende klar abzeichnete.

Samstag, 18. Juni 2022

Friedrich Hölderlin und die poetische Kraft der Verwandlung (E)






Was Hölderlin als Dichter auszeichnet, ist seine ungeheuere Kraft der poetischen Verwandlung, fremde Welten in Poesie zu verwandeln und dem Leser in seiner Dichtkunst nahezubringen.

Hölderlin verwandelt durch seine Phantasie Traumwelten in Dichtung. Seine Traumwelten sind räumliche Fluchten aus der Realiltät des damaligen Herzogtums Württemberg.


Hölderlin

Hölderlin - ein Dichter der Revolution



Eigentlich sollte Friedrich Hölderlin Pfarrer werden. Die fromme Mutter drängt den Jungen zur Theologie. Doch im Stift zu Tübingen rebelliert er gegen die strenge Disziplin ebenso wie gegen die herrschende Willkür im Land. Die Revolution in Frankreich 1789 hallt auch in die Enge der Tübinger Gemäuer.

»Ich duld es nimmer! ewig und ewig so/Die Knabenschritte, wie ein Gekerkerter/Die kurzen, vorgemeßnen Schritte/Täglich zu wandeln, ich duld es nimmer!«

Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin wollte der Dichter der Revolution sein und Anhänger ihrer Ausweitung auf Deutschland. Und er hat Friedrich Schiller als den deutschen Dichter der Freiheit zutiefst verehrt - als einen der beiden großen Dichterfürsten in Weimar, die klassisch geworden sind. Doch die Klassiker standen der großen Französischen Revolution skeptischdistanziert gegenüber. Und so klassisch werden, wie sie, wollte Hölderlin nicht.

Er dachte anders mit seinem »Hyperion« unter die Deutschen zu kommen: Gewiss er kämpfte vor allem um seine Anerkennung als Dichter – aber als Dichter einer württembergischen Revolution. Und er gehörte auch zu denen, die sie politisch planten. »Wenn’s sein mus, so zerbrechen wir unsere unglücklichen Saitenspiele, und thun, was die Künstler träumten«, schrieb er an den Freund Neuffer.

Eine französische Armee stand in Württemberg, doch das Direktorium in Paris wollte diese württembergische Revolution 1799 nicht. Sie findet nicht statt. Seinen Empedokles lässt Hölderlin rufen: »Diß ist die Zeit der Könige nicht mehr!« Er hat sein Theaterstück zur Feier der vergeblich erhofften württembergischen Revolution nach dem Frühjahr 1799 nie zu Ende geschrieben. Es gab nun keinen Ort, es aufzuführen.

Napoleon Bonaparte wurde Kaiser der Franzosen. Die heroischen Jahre der großen Revolution - auch blutige Jahre, in denen schon sie ihre Kinder fraß - waren vorbei.

»Hyperion« von Friedrich Hölderlin

Hyperion

Hyperion

"Wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht wie Lebensluft ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und groß sind alle Herzen, und Helden gebiert die Begeisterung." Hölderlins "Hyperion" entfacht wahrhaftig eine freudige Erregung, ob der wunderschönen Sprache und der tiefen Reflexionen über die Frage nach der Selbstverwirklichung im Spannungsverhältnis von Ideal und Wirklichkeit. "Wie die Zephyre irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit selig umher. (...) Und all dies war die Sprache eines Wohlseins..."



"Die Sprache ist ein großer Überfluss. Das Beste bleibt doch immer für sich und ruht in seiner Tiefe wie die Perle im Grunde des Meers.", schreibt Hyperion an Bellarmin. Friedrich Hölderlin macht diese Perle seinem Leser zugängig. Man muss gar nicht so tief nach ihr tauchen.

"Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns, wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt, sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählich waffenfähig wird."

Aus der Rückschau korrespondiert der Titelheld mit einem gewissen "Bellarmin" über Ereignisse in Griechenland zur Zeit der Griechisch-Türkischen Kriege. Eine große, rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal, ist Hyperion, dem literarischen Helden, zu Eigen, die das "Geschehen" in einem zentralen Konflikt leitet. Diotima und Alabander inszeniert Hölderlin als Kontrastfiguren, an denen sich Hyperion aufreizt. Da ist zum einen die Inbrunst an die Geliebte und Rückzug in das private Glück des Idylls versus militanter Einsatz für eine bessere Welt im Bund mit dem besten Freund.

Die Disharmonien und Kontroversen führen zur Auslöschung der Kontrastfiguren, so dass schließlich der desillusionierte Hyperion allein überlebt und in Deutschland unter all den "Barbaren von alters her (...), tief unfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien (...), dumpf und harmonielos wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes" sein Credo resignativ gebrochen zu Papier bringen kann.

Es ist mehr eine psychologische Autobiographie, eines hochintelligenten und sensiblen Menschen, der sich hinter seiner "Fiktion" versteckt.

Wie Nietzsche ist Hölderlin wohl durch eine harte Kindheit gegangen, auch wenn er dies immer verleugnet hat, auch vor sich selbst (ersterer hat seinen Wut dann auf die Gesellschaft "entladen" und so wichtige Erkenntnisse gewonnen, letzterer ist der Wirklichkeit "entflohen"). Hier wurzelt dann auch sein Seelenleid, der dieses Genie leider von Innen aufgefressen hat. Was er in diesem Buch beschreibt, ist die typische Gefühlslage und Geschichte derartiger Menschen.

"Wir sind‘s, wir! Wir haben unsere Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die Fremde irgendeiner andern Welt zu stürzen und wär es möglich, wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus."


aus „Hyperion“, Friedrich Hölderlin
Was bleibt, ist ein Leben, welches die deutsche Sprache zumindest teilweise beeinflusst, aber noch viel mehr bereichert hat. Zu Lebzeiten vergessen, kam er danach zu Ruhm, doch heute ist er wieder nur ein obskurer Autor, da er schlicht und einfach kein massenkompatibles Werk hinterlassen hat. Das unterscheidet ihn von Goethe und Schiller, die aber - es tut mir leid - um einiges "langweiliger" sind. In einem anderen, besseren Leben wäre er vielleicht ein großer Naturforscher oder ähnliches geworden, und hätte sich nicht hinter der "Poesie" versteckt, um die Realität zu verdrängen!

Literatur:

Hyperion

Hyperion

Samstag, 21. Mai 2022

»Der Frühling« von Friedrich Hölderlin

Frühling





Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,
Die Tage kommen blütenreich und milde,
Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen
Vom Himmel abwärts, wo die Tag´ entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten
Wie eine Pracht, wo sich Feste verbreiten,
Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.

»Der Frühling« von Friedrich Hölderlin


Samstag, 14. Mai 2022

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin


Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.

Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.

Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.

Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.

Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.

Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber

Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.

Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin