Samstag, 21. Juni 2025

Friedrich Hölderlin in Waltershausen

Friedrich Hölderlin


Hölderlins erste Stelle bei der Majorsgattin Charlotte von Kalb in Waltershausen in Thüringen begann hoffnungsvoll und endete unglücklich. Zögling Fritz stellte sich bald als Problemfall heraus, an dem schon der Dorfpfarrer und der vorige Hauslehrer gescheitert waren. Der Knabe war 'verstockt', was auf ein 'Laster' zurückgeführt wurde, das der Hauslehrer Hölderlin durch unablässige Ablenkung, stetige Überwachung und gerechte Strenge zu verhindern suchte: Die Selbstbefriedigung. Nach dem Stande der damaligen Medizin führte dies zu Epilepsie, Stumpfsinn oder Rückenmarksschwindsucht. Hölderlin, der seine Aufgabe ernst nahm, verausgabte sich dabei körperlich und seelisch.

"..ich wagte meine Gesundheit durch fortgesetztes Nachtwachen, denn das machte sein Übel nötig, (...)und ich fing auch an, auf eine gefährliche Art an meinem Kopfe zu leiden, durch das öftere Wachen,wohl auch durch den Verdruß." (An Neuffer 19.1.1795 StA 6,1 S.150)

Hölderlins Situation war - nach damaligen Maßstäben - pädagogisch aussichtslos und drohte ihn zugrunde zu richten. Also trennte man sich. Am Ende wußte die aufgeklärte Frau v. Kalb mit ihrem mißratenen Fritz auch nicht mehr weiter und steckte ihn ins Gymnasium nach Weimar! Er wurde schließlich preußischer Offizier.
Aber da war noch etwas. Auf dem v. Kalbschen Gut, in jenem landschaftlich schönen, aber weltabgewandten Waltershausen trifft er auf Wilhelmine Kirms, Gesellschafterin der Frau v. Kalb und mit 22 Jahren bereits Witwe.

"...eine Dame von seltenem Geist und Herzen, spricht französisch und englisch und hat soeben die neuste Schrift von Kant bei mir gehohlt. Überdiss hat sie eine ser interessante Figur." (An die Schwester, StA 6,1 S.105)

Samstag, 10. Mai 2025

Friedrich Hölderlin im Jahre 1795 (K)

Friedrich Hölderlin


Im März des Jahres 1795 wurde Friedrich Hölderlin 25 Jahre alt. Er war gutaussehend, empfindsam, voller Projekte und - arbeitslos. Eineinhalb Jahre zuvor hatte er das Studium am Tübinger Stift abgeschlossen, durfte sich 'Magister' nennen und nun - im Frühjahr 95 - hatte er die erste Kündigung bereits hinter sich. Er war hochqualifiziert durch eine Ausbildung, die nur den besten des Schwabenlandes zuteil wurde, und er war besten Willens, sich zum Wohle der Menschheit einzusetzen. Wo aber fanden sich in den damaligen Kleinstaaten und Städten Deutschlands die Kanzleien oder Lehranstalten, welche diesen jungen Leuten angemessene Stellen anbieten konnten? Es gab sie nicht, oder - fast nicht. Da war ja noch die württembergische Kirche, die ihn sehr wohl haben wollte.

"Auch muß ich fürchten," schreibt er Ende 1793, "das Konsistorium möchte mich beim Kopf kriegen,und mich auf irgendeine Vikariatstelle zu einem Pfarrer hinzwingen, der keinen freiwilligen Vikar bekommen kann. Ich will aber mit allen Kräften mich um eine Hofmeisterstelle bewerben." (StA 6,1 S.91)Hölderlin wollte nicht predigen, er wollte erziehen: Kinder zu Menschen bilden. Das bedeutete jedoch auch, das Schwabenland, wo ihn der Arm der Kirchenleitung erreichen konnte, zu verlassen. So ging er ins 'Ausland': Thüringen, Frankfurt, die Schweiz, zuletzt Bordeaux. Er hätte auch die Lehrer-Laufbahn in einer "Erziehungsanstalt" anstreben können, aber davon hielt er nicht viel. Er setzte auf die Vorzüge der Privaterziehung, schließlich hatte er - wie es sich für fortschrittliche Intellektuelle gehörte - den großen Jean Jaques Rousseau und dessen Erziehungsroman »Emile« gelesen.

"Schulmeistern könnt' ich unmöglich," schreibt er der Mutter, als diese ihm die Präzeptoratsstelle an der Nürtinger Lateinschule offeriert, "und 40 Knaben nach reinen Grundsätzen und mit anhaltendem belebendem Eifer zu erziehen, ist wahrhaft eine Riesenarbeit, besonders wo häusliche Erziehung und anderweitige Anstalten so sehr entgegenwirken." (20.11.1796, StA 6,1 S.225)

Hölderlins erste Stelle bei der Majorsgattin Charlotte v. Kalb in Thüringen begann hoffnungsvoll und endete unglücklich. Zögling Fritz stellte sich bald als Problemfall heraus, an dem schon der Dorfpfarrer und der vorige Hauslehrer gescheitert waren. Der Knabe war 'verstockt', was auf ein 'Laster' zurückgeführt wurde, das der Hauslehrer Hölderlin durch unablässige Ablenkung, stetige Überwachung und gerechte Strenge zu verhindern suchte: Die Selbstbefriedigung. Nach dem Stande der damaligen Medizin führte dies zu Epilepsie, Stumpfsinn oder Rückenmarksschwindsucht. Hölderlin, der seine Aufgabe ernst nahm, verausgabte sich dabei körperlich und seelisch.

"..ich wagte meine Gesundheit durch fortgesetztes Nachtwachen, denn das machte sein Übel nötig, (...)und ich fing auch an, auf eine gefährliche Art an meinem Kopfe zu leiden, durch das öftere Wachen,wohl auch durch den Verdruß." (An Neuffer 19.1.1795 StA 6,1 S.150)

Hölderlins Situation war - nach damaligen Maßstäben - pädagogisch aussichtslos und drohte ihn zugrunde zu richten. Also trennte man sich. Am Ende wußte die aufgeklärte Frau v. Kalb mit ihrem mißratenen Fritz auch nicht mehr weiter und steckte ihn ins Gymnasium nach Weimar! Er wurde schließlich preußischer Offizier.
Aber da war noch etwas. Auf dem v. Kalbschen Gut, in jenem landschaftlich schönen, aber weltabgewandten Waltershausen trifft er auf Wilhelmine Kirms, Gesellschafterin der Frau v. Kalb und mit 22 Jahren bereits Witwe.

"...eine Dame von seltenem Geist und Herzen, spricht französisch und englisch und hat soeben die neuste Schrift von Kant bei mir gehohlt. Überdiss hat sie eine ser interessante Figur." (An die Schwester, StA 6,1 S.105)

Wilhelmine Kirms verläßt im Dezember '94 das Gut und bringt im Juli '95 ein uneheliches Kind zur Welt. Über die Zusammenhänge kann spekuliert werden, als potentielle Väter kämen außer dem jungen Hauslehrer noch der alte Major, der Pfarrer und der Gärtner in Frage, jedenfalls wird im Januar das Dienstverhältnis mit Hölderlin gelöst und Frau v. Kalb versieht ihn mit Geld auf ein Vierteljahr.

So beginnt das Jahr 1795. Hölderlin zieht in die nahegelegene Universitätsstadt Jena. Er hat fürs erste genug gearbeitet, jetzt will er bei dem berühmten Professor Fichte Philosophie studieren, möchte Gedichte schreiben, veröffentlichen und in Muße an seinem Romanprojekt, dem 'Hyperion', weiterarbeiten. Keine Stadt konnte da bessere Bedingungen bieten als Jena, die literarische und wissenschaftlicheHauptstadt Deutschlands, die Stadt der Zeitschriften und Journale.Und was benötigt ein 25-jähriger Mann noch? Er braucht Freunde! Solche, die seine Wellenlänge haben und ihn nehmen, wie er ist, aber auch solche, die ihm Orientierung geben und väterlichen Rat.

Den "Herzensfreund" findet er in dem 19-jährigen Adligen Isaac von Sinclair, mit welchem er im April einGartenhäuschen bezieht. Den väterlichen Freund findet er in dem verehrten Schiller, seit 1789 Professor für Geschichte. Dank diesem bekommt er Zugang zu den wichtigen Kreisen, gelangt in die Nähe Fichtes und trifft sogar Goethe. Die Zeit der Zusammenarbeit Goethes und Schillers - 'Weimarer Klassik' genannt - beginnt, und Schiller stellt Hölderlin Veröffentlichungsmöglichkeiten in deren geplanten Zeitschriften und Musen-Almanachen in Aussicht. Schillers Einfluß bewirkt sogar, daß der Verleger Cotta den noch unvollendeten 'Hyperion' zu veröffentlichen bereit ist - wenn auch für ein recht bescheidenes Honorar.

Die Dinge laufen gut für den jungen Mann. Er hat Freunde, Gönner, Beziehungen, kann veröffentlichen,bei Fichte Vorlesungen hören (abends 6-7 Uhr), muß nicht darben - und da geschieht das Unerwartete: Er verläßt Ende Mai plötzlich die Stadt und kehrt nicht wieder. Das 'Jenaische Projekt' ist beendet. Warum? Genaues weiß man nicht, vier Hypothesen seien aber angeführt:

1. Ende Mai gibt es in Jena wieder einmal Krawalle, organisiert von studentischen Geheimbünden mit so illustren Namen wie z.B. "Orden der Schwarzen Brüder". Isaak v. Sinclair ist daran maßgeblich beteiligt und wird als Rädelsführer der Universität verwiesen. Er verläßt Jena, Hölderlin ist (oder wäre) allein im Gartenhaus, fühlt sich gefährdet und möchte sich möglichen Untersuchungen entziehen. Hölderlins Beziehung zu Schiller erweist sich zunehmend als problematisch. Hölderlin empfindet dessen dichterische und persönliche Präsens plötzlich als übermächtig und meint, sich aus dessen Bann befreien zu müssen, um zu sich selbst zu kommen. Schiller ist darüber ziemlich sauer und beantwortet Hölderlins Briefe nicht. Eineinhalb Jahre lang herrscht Schweigen von Schillers Seite. Da Hölderlins Gemütsverfassung viele Wochen später in Nürtingen sehr depressiv ist, könnte die Flucht aus Jena schon als frühes Anzeichen der Geisteskrankheit gedeutet werden, quasi als ersten psychotischen Schub. Und schließlich? Vielleicht hat ihn die Nachricht von der bevorstehenden Niederkunft der Wilhelmine Kirms erreicht und er ist darüber so verwirrt, daß er in einer Kurzschlußhandlung alle Zelte abbricht.
Wie immer es auch gewesen sein mag, zwei Wochen nach seinem Verschwinden trifft Hölderlin in Heidelberg mit Johann Gottfried Ebel zusammen, eine Begegnung, die noch Sinclair vermittelt hat. Ebel ist Arzt, Reiseschriftsteller und Lebensgefährte von Margarete Gontard, der Schwester des Frankfurter Bankiers Jakob Friedrich Gontard, welcher seinerseits mit Susette Gontard geb. Borkenstein vermählt ist und vier Kinder hat. Für das älteste Kind, den achtjährigen Sohn Henry, wird ein Erzieher gesucht. Hölderlin und Ebel verstehen sich sofort, vor allem sind sie gleichermaßen von den Ideen der Französischen Revolution begeistert, und Ebel verspricht, sich bei den Gontards für ihn zu verwenden. So etwas hieß damals `Konnexion`!

Hölderlin reist weiter nach Nürtingen. Dort befällt ihn tiefe Schwermut, er klagt über innere Kälte, über den Winter in seinem Kopf. Wie später noch oft, wenn er seelisch und finanziell am Ende ist, sucht er Zuflucht in der 'Mutter-Stadt', aber schnell fällt ihm dann der kleinstädtische Himmel auf den Kopf und er wünscht sich wieder weg. Er muß aber auf Ebels Bescheid aus Frankfurt warten und der kommt nicht. Wie übersteht er diese Wartezeit, wie entkommt er dem Drängen der Mutter, die ihren Sohn endlich in einem schwäbischen Pfarrhaus untergebracht sehen will? Er nimmt Reißaus und besucht Freunde in Stuttgart, Vaihingen, Markgröningen, die Schwester Rike in Blaubeuren. Er arbeitet an seinen pädagogischen Überzeugungen, die er in einem Brief an Ebel - gleichsam als Eignungsnachweis - niederschreibt.

"Ich glaube," heißt es darin, "daß die Ungeduld, womit man seinem Zwecke zueilt, die Klippe ist, woran gerade oft die besten Menschen scheitern. So auch in der Erziehung. Man möchte so gerne in sechs Tagen mit seinem Schöpfungswerke zu Ende sein; das Kind soll oft Bedürfnisse befriedigen, die es noch nicht hat, und vernünftige Dinge anhören und fassen, ohne Vernunft! und das macht dann die Er-zieher, weil sie auf dem rechten Wege ihre Absicht nicht erreichen, tyrannisch und ungerecht, das macht den Erzieher und den Zögling gleich elend." (2. Sept. 1795, STA 6.1 S. )

Es wird Oktober, November, Weihnachten steht vor der Tür und Hölderlin sieht schon den Arm der Kirchenleitung auf sich zugreifen.

"...so muß ich erwarten," schreibt er an Ebel, "da die Weihnachtsfeiertage heranrüken, zu einem Pfarrer geschickt zu werden, um ihn zu unterstützen..." (November 1795, StA6,1 S.183)

Da kommt der erlösende Brief. Er soll in Frankfurt die Erziehung des kleinen Henry Gontard übernehmen, für 400 Gulden jährlich bei freier Kost und Logis, ein stattlicher Verdienst für einen Hauslehrer. Mitte Dezember sagt er in Nürtingen Adieu, erreicht Ende des Monats nach beschwerlicher Reise durch kriegsnahes Gebiet Frankfurt und lernt am 30. Dezember seinen neuen Zögling kennen. Wenige Tage später wird er auch die Hausherrin Susette Gontard, die Frau seines Lebens kennenlernen.

Weblink: Friedrich Hölderlin im Jahre 1795 - www.zum.de

Samstag, 12. April 2025

Friedrich Hölderlin in Jena

Friedrich Hölderlin


Hölderlin zog 1795 in die Universitätsstadt Jena. Er hatte für das erste genug gearbeitet, jetzt wollte er bei dem berühmten Professor Fichte Philosophie studieren, möchte Gedichte schreiben, veröffentlichen und in Muße an seinem Romanprojekt, dem »Hyperion«, weiterarbeiten. Keine Stadt konnte da bessere Bedingungen bieten als Jena, die literarische und wissenschaftliche Hauptstadt Deutschlands, die Stadt der Zeitschriften und Journale.Und was benötigt ein 25-jähriger Mann noch? Er braucht Freunde! Solche, die seine Wellenlänge haben und ihn nehmen, wie er ist, aber auch solche, die ihm Orientierung geben und väterlichen Rat.

Den "Herzensfreund" fand er in dem 19-jährigen Adligen Isaac von Sinclair, mit welchem er im April ein Gartenhäuschen bezog. Den väterlichen Freund fand er in dem verehrten Schiller, seit 1789 Professor für Geschichte.

Dank diesem bekam er Zugang zu den wichtigen Kreisen, gelangte in die Nähe Fichtes und traf sogar Goethe. Die Zeit der Zusammenarbeit Goethes und Schillers - »Weimarer Klassik« genannt - begann, und Schiller stellte Hölderlin Veröffentlichungsmöglichkeiten in deren geplanten Zeitschriften und Musen-Almanachen in Aussicht. Schillers Einfluß bewirkt sogar, daß der Verleger Cotta den noch unvollendeten »Hyperion« zu veröffentlichen bereit ist - wenn auch für ein recht bescheidenes Honorar.

Die Dinge liefen gut für den jungen Mann. Er hatte Freunde, Gönner, Beziehungen, kann veröffentlichen, bei Fichte Vorlesungen hören (abends von 6 bis 7 Uhr), mußte nicht darben - und da geschieht das Unerwartete: Er verließ Ende Mai plötzlich die Stadt und kehrte nicht wieder.

Das »Jenaische Projekt« war beendet. Warum? Genaues weiß man nicht, vier Hypothesen seien aber angeführt:

Ende Mai gab es in Jena wieder einmal Krawalle, organisiert von studentischen Geheimbünden mit so illustren Namen wie z.B. "Orden der Schwarzen Brüder". Isaak v. Sinclair ist daran maßgeblich beteiligt und wird als Rädelsführer der Universität verwiesen. Er verläßt Jena, Hölderlin ist (oder wäre) allein im Gartenhaus, fühlte sich gefährdet und möchte sich möglichen Untersuchungen entziehen.

Hölderlins Beziehung zu Schiller erweist sich zunehmend als problematisch. Hölderlin empfindet dessen dichterische und persönliche Präsens plötzlich als übermächtig und meint, sich aus dessen Bann befreien zu müssen, um zu sich selbst zu kommen. Schiller ist darüber ziemlich sauer und beantwortet Hölderlins Briefe nicht. Eineinhalb Jahre lang herrscht Schweigen von Schillers Seite.

Da Hölderlins Gemütsverfassung viele Wochen später in Nürtingen sehr depressiv war, könnte die Flucht aus Jena schon als frühes Anzeichen der Geisteskrankheit gedeutet werden, quasi als ersten psychotischen Schub.

Samstag, 22. März 2025

Hölderlin im Hause Zimmer

Holderlinturm

Für Friedrich Hölderlin wendete sich im Jahr 1807 das Schicksal zum Besseren. Er wurde aus der Autenrieth‘schen Anstalt in Tübingen als unheilbar entlassen und von dem Schreinermeister Zimmer für den Rest seines Lebens in einem Turmzimmer untergebracht.

Nach Ansicht des Arztes sollte er noch höchstens drei Jahre zu leben haben, seine Zeit im Turm dauerte dann aber 36 Jahre - man kann von seiner "Zweiten Hälfte des Lebens" sprechen.

Der Schreinermeister Zimmer war ein für damalige Verhältnisse gebildeter Mann, denn er las Bücher und mehr noch, er hatte Hölderlins Briefroman »Hyperion« gelesen und war begeistert.

Auch soll er von Kant, Fichte, Schelling, Novalis, Tieck und andern gesprochen haben, also von den angesagtesten und vielleicht schwierigsten Geistern der Zeit.

Rückblickend schreibt Zimmer 1835, inzwischen zum Obermeister der Tübinger Schreinerzunft aufgestiegen:

„Ich besuchte Hölderlin im Clinikum und Bedauerte ihn sehr, daß ein so schönner Herlicher Geist zu Grund gehen soll. Da im Clinikum nichts weiter mit Hölderlin zu machen war, so machte der Canzler Autenrit mir den Vorschlag Hölderlin in mein Hauß aufzunehmen, er wüßte kein pasenderes Lokal.“ (StA 7,3, Nr. 528)

Er hatte das Haus am Neckar 1807 gerade erst erworben und im Erdgeschoss seine Schreinerei eingerichtet. Im Turm wurde ein Zimmer für Hölderlin hergerichtet, für Kost und Logis kam die Mutter in Nürtingen auf.

Der Student Wilhelm Waiblinger schreibt am 3. Juli 1822: „Wir stiegen eine Treppe hinauf, als uns gleich ein wunderhübsches Mädchen entgegentrat. Ich weiß nicht ob mich ein großes lebendiges Auge ...
oder der allerliebste, zarte Hals und der junge, so liebliche Busen oder das Verhältnismäßige der kleinen Gestalt mehr entzückte, genug meine Blicke hingen trunken auf ihr, als sie uns fragte, zu wem wir wollten.

Die Antwort ward uns erspart, denn eine offene Tür zeigte uns ein kleines, geweißnetes Amphi-theatralisches Zimmer, ohne allen gewöhnlichen Schmuck, worin ein Mann stand, der seine Hände in den nur bis zu den Hüften reichenden Hosen stecken hatte und unaufhörlich vor uns Complimente machte.

Das Mädchen flüsterte, der ists!“ (StA 7,3)

Diese sicher sehr schwäbisch flüsternde Schönheit (der „isches“) war vielleicht Lotte Zimmer, des Schreinermeisters Tochter, zum damaligen Zeitpunkt neun Jahre alt. Sie widmete sich insbesondere nach dem Tode des Vaters dem kranken Dichter aufopfernd bis zu dessen Ende.

Sie hat nie geheiratet und heute trägt eine Straße in Tübingen ihren Namen. Vater und Tochter schreiben in regelmäßigen Abständen Briefe an Hölderlins Mutter in Nürtingen, in denen sie den momentanen Zustand ihres Sohnes schildern und sich dabei auch für das Geld bedanken, das ihnen die Mutter allvierteljährlich zukommen lässt.

So heißt es z.B. am 2. März 1813: „Hölderlin ist recht Brav und immer sehr Lustig.

Die Pfeifenköpfe haben Ihn gefreudt die Sie die güte hatten mit zu schücken.“ Oder am 22. Februar 1814: „Ihr Lieber Hölderle ist so braf das mann Ihn nicht beßer wünschen kan.“ Und schließlich Lotte Zimmer am 17. Januar 1841 an Hölderlins Schwägerin: Ihr Herr Schwager ließ sich das überschickte recht wohl schmecken,

Er befindet sich gegenwärtig recht wohl, ausgenommen daß Er Nachts oft sehr unruhig ist, was aber schon lange Jahre so ist ...“ (StA 7,3)

Friedrich Hölderlin als Erzieher

Friedrich Hölderlin


"Auch muß ich fürchten," schreibt er Ende 1793, "das Konsistorium möchte mich beim Kopf kriegen,und mich auf irgendeine Vikariatstelle zu einem Pfarrer hinzwingen, der keinen freiwilligen Vikar bekommen kann. Ich will aber mit allen Kräften mich um eine Hofmeisterstelle bewerben." (StA 6,1 S.91)Hölderlin wollte nicht predigen, er wollte erziehen: Kinder zu Menschen bilden. Das bedeutete jedoch auch, das Schwabenland, wo ihn der Arm der Kirchenleitung erreichen konnte, zu verlassen. So ging er ins 'Ausland': Thüringen, Frankfurt, die Schweiz, zuletzt Bordeaux. Er hätte auch die Lehrer-Laufbahn in einer "Erziehungsanstalt" anstreben können, aber davon hielt er nicht viel.

Er setzte auf die Vorzüge der Privaterziehung, schließlich hatte er - wie es sich für fortschrittliche Intellektuelle gehörte - den großen Jean Jaques Rousseau und dessen Erziehungsroman »Emile« gelesen.

"Schulmeistern könnt' ich unmöglich," schreibt er der Mutter, als diese ihm die Präzeptoratsstelle an der Nürtinger Lateinschule offeriert, "und 40 Knaben nach reinen Grundsätzen und mit anhaltendem belebendem Eifer zu erziehen, ist wahrhaft eine Riesenarbeit, besonders wo häusliche Erziehung und anderweitige Anstalten so sehr entgegenwirken." (20.11.1796, StA 6,1 S.225)

Donnerstag, 12. Dezember 2024

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin


Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.

Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.

Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.

Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.

Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.

Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber

Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.

Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin

Samstag, 17. August 2024

Hölderlins Wanderung zu den Gleichbergen

Gleichberge

Zwei gewaltige gleichförmige Basaltkegel, welche sich aus der umliegenden Landschaft emporheben, dominieren weithin die thüringisch-fränkische Grabfeldlandschaft.

Die beiden Gleichberge nahe der Kleinstadt Römhild, auch Zwillingsberge genannt, ziehen alljährlich viele Natur-und Wanderfreunde in ihren Bann auf den Spuren eines berühmten Dichters.

Im August 1794 bestieg der Dichter die Gleichberge und notierte tags darauf, wie bezaubernd der Blick nach Süden sei, wo er am Horizont sein liebes Schwaben wähnte.

"So studirt’ ich am liebsten die Geographie der beiden Halbkugeln, wenn es sein müsst."