Samstag, 12. Juni 2021
»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin
Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
So käm auch ich zur Heimat, hätt ich
Güter so viele, wie Leid, geerntet.
Ihr teuren Ufer, die mich erzogen einst,
Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?
Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
Die mich behüteten einst, der Heimat
Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
Und liebender Geschwister Umarmungen
Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,
Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
Sterbliche singen, mir aus dem Busen.
Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.
»Die Heimat« von Friedrich Hölderlin
Samstag, 5. Juni 2021
Hölderlin - der kranke Dichter (K)
![Porträt von Friedrich Hölderlin | Bild: picture-alliance/dpa Porträt von Friedrich Hölderlin | Bild: picture-alliance/dpa](https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/deutsch-und-literatur/friedrich-hoelderlin-portraet-100%7E_v-img__16__9__l_-1dc0e8f74459dd04c91a0d45af4972b9069f1135.jpg?version=eea8a)
Friedrich Hölderlins Leben - gGeboren am 20. März zu Laufen am Neckar und gestorben am 7 Juni 1843 in Tübingen -
war schicksalshaft von physischer und körperlichen Erkrankungen geprägt.
Misshandlungen während der 231-tägigen Zwangsbehandlung im Krankenhaus, der von Autenrieth geleiteten Klapse, führten dazu, daß Hölderlin danach ein zum psychischen Krüppel Geschlagener war. Einer, der sich in sich zurückzog, mit der Außenwelt nicht mehr oder kaum noch kommunizierte. Keinesfalls aber war Hölderlin ein Umnachteter, Schwachsinniger.
Seine tragische Lebensgeschichte zwischen Genie und Krankheit spiegelt die politischen und kulturellen Kämpfe im Zeitalter der Aufklärung und der Französischen Revolution: um bürgerliches Selbstbewusstsein, Demokratie und Menschenrechte.
Am Eingang des Tübinger Hölderlin-Turms stand jahrelang der Satz aufgesprüht: „Der Hölderlin isch et veruckt gwä!“ Ein Verrückter? Ein Revolutionär? Schwäbischer Idylliker? Oder der Vorreiter aller modernen Poesie? Friedrich Hölderlin, der Mann im Turm, ist umkämpft wie kein zweiter deutscher Dichter. Im 19. Jahrhundert fast vergessen, im 20. Jahrhundert vom George-Kreis wiederentdeckt, von den 68ern als Revolutionär gefeiert.
Hölderlin ist schwierig. Sperrig, dunkel, kompliziert. Bisweilen kaum zu ertragen in seiner hochfliegenden Begeisterungsgebärde. Doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das einen entweder packt oder zurückstößt, aber keinesfalls gleichgültig lässt: seine Sprache. Die Wucht, die Geschmeidigkeit, der Glanz und das Aufgeraute eines unerhörten, ganz eigenen Tons: Ein herzwilder, daseinsfrommer Klang, der rauschhaft pulsierend und rhythmisch jagend vorandrängt; Sturzbäche von Wörtern und Lauten, Bilderkaskaden "wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen"; schimmernde Dunkelheiten und gleißendes Berglicht. Und da ist vor allem eins: Das Gefühl, als gehe es in jeder Zeile, mit jedem Wort um Leben und Tod, um absolut alles, um einen kühnen Aufbruch bis an die Grenzen der sagbaren Welt und darüber hinaus.
Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung und starb am 7. Juni 1843 in Tübingen.
"Und mancher siehet über die eigne Zeit"
Vielleicht ist es das, was den Schrecken und zugleich die Faszination dieser Dichtung ausmacht: Ihr blutiger, tiefer, "heilignüchterner" Ernst. Hölderlin geht aufs Ganze. Er will die absolute Dichtung. Den absoluten, alles erneuernden Gesang. Einen Gesang, der den Riss in der Schöpfung heilt, die Entfremdung zwischen Menschen und öttern aufhebt, der die im Geschichts- und Kulturprozess verlorene Ureinheit von Geist und Natur, Welt und Mensch neu gründet. Einen Menschheitsgesang, der Christus und Dionysos, Orient und Okzident, Antike und Moderne, Manna und Nektar im epiphanischen Dichterwort zusammenbringt.
"Die neue Schöpfungsstunde"
Das klingt angestrengt und anstrengend, rückwärtsgewandt und irgendwie nicht von dieser Welt. Aber nichts ist falscher als das. Retro ist gar nichts an Hölderlin, er ist ein radikaler Erneuerer. Sein Griechenland ist kein Wegducken in die Vergangenheit. Hölderlin will nicht zurück, er will voran. Er braucht die Antike als Ideenlabor für die Vision und Verkündigung einer umfassenden Erneuerung der politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, ästhetischen und künstlerischen Verhältnisse. Angesteckt von den Idealen der Französischen Revolution träumt er von einer Zukunft ohne Staatlichkeit, ohne Unterdrückung und Bevormundung, vom Aufbruch in ein "freies kommendes Jahrhundert". In dieser künftigen besseren Welt integriert die Kunst alles, was jetzt noch getrennt und vereinzelt ist. Und die Poesie stellt die ursprüngliche Einheit alles Seienden wieder her. Sie und nur sie überwindet die Zerrissenheit des Denkens, überbrückt die Abgründe zwischen den Epochen, vereint die Religionen, Fächer und Individuen.
"Komm ins Offene, Freund!"
Und Hölderlin selbst? Wer ist das? Schwer zu sagen. Es gibt ein spätes Gedicht von ihm, ein Bruchstück aus der Zeit der "geistigen Umnachtung" im Tübinger Turm. In diesem Bruchstück heißt es: "Denn nirgend bleibt er. / Es fesselt / Kein Zeichen. / Nicht immer / Ein Gefäß ihn zu fassen." Wer ist hier gemeint? Der Mensch? Ein Gott? Oder Hölderlin? Das würde passen. Hölderlin lässt sich nicht auf einen Begriff bringen. Man kann ihn nicht versand- und konsumfertig zurecht konfektionieren. Und ob er gesund oder krank war, was spielt das für eine Rolle? Hölderlin ist, was seine Gedichte, Gesänge, Gedanken im Leser anstiften. Die einzige Chance, etwas Wirkliches und Substanzielles über ihn zu erfahren, besteht darin, sich der Erfahrung seines Werks auszusetzen. Dafür aber muss man ihm ins Freie, Weite, Ungebahnte folgen. In seiner großen Elegie "Brot und Wein" lädt er genau dazu ein: "So komm! Dass wir das Offene schauen, / Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist."
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/deutsch-und-literatur/hoelderlin-friedrich-dichter-100.html Der kranke Dichter
Friedrich Hölderlins Rückzug aus dem irdischen Leben
Enttäuscht von den Idealen der Französischen Revolution, gezeichnet von der Gesundheit und von Schicksalschlägen getroffen, zog er sich in einen Turm am Neckarufer zurück. Seit seinem 32. Lebensjahr lebte der gedankenvolle Dichter Hölderlin in geistiger Umnachtung.
Friedrich Hölderlin schied vor 180 Jahren am 7. Juni 1843 in Tübingen von dieser Welt.Friedrich Hölderlin war ein von der schwäbischen Romantik geprägter Dichter und ein bedeutender Schriftsteller und Dichter der Klassik.
Sonntag, 16. Mai 2021
»An die Natur« von Friedrich Hölderlin
Da ich noch um deinen Schleier spielte,
Noch an dir, wie eine Blüte hing,
Noch dein Herz in jedem Laute fühlte,
Der mein zärtlichbebend Herz umfing,
Da ich noch mit Glauben und mit Sehnen
Reich, wie du, vor deinem Bilde stand,
Eine Stelle noch für meine Tränen,
Eine Welt für meine Liebe fand,
Da zur Sonne noch mein Herz sich wandte,
Als vernähme seine Töne sie,
Und die Sterne seine Brüder nannte
Und den Frühling Gottes Melodie,
Da im Hauche, der den Hain bewegte,
Noch dein Geist, dein Geist der Freude sich
In des Herzens stiller Welle regte,
Da umfingen goldne Tage mich.
Wenn im Tale, wo der Quell mich kühlte,
Wo der jugendlichen Sträuche Grün
Um die stillen Felsenwände spielte
Und der Aether durch die Zweige schien,
Wenn ich da, von Blüten übergossen,
Still und trunken ihren Othem trank
Und zu mir, von Licht und Glanz umflossen,
Aus den Höhn die goldne Wolke sank -
Wenn ich fern auf nackter Heide wallte,
Wo aus dämmernder Geklüfte Schoß
Der Titanensang der Ströme schallte
Und die Nacht der Wolken mich umschloß,
Wenn der Sturm mit seinen Wetterwogen
Mir vorüber durch die Berge fuhr
Und des Himmels Flammen mich umflogen,
Da erschienst du, Seele der Natur!
Oft verlor ich da mit trunknen Tränen
Liebend, wie nach langer Irre sich
In den Ozean die Ströme sehnen,
Schöne Welt! in deiner Fülle mich;
Ach! da stürzt ich mit den Wesen allen
»An die Natur« von Friedrich Hölderlin
Mittwoch, 24. März 2021
»Aussicht« von Friedrich Hölderlin
Der offne Tag ist Menschen hell mit Bildern,
Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget,
Noch eh des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget,
Und Schimmer sanft den Klang des Tages mildern.
Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen.
Des Menschen Sinn von Zweifeln voll, verdrossen,
Die prächtige Natur erheitert seine Tage
Und ferne steht des Zweifels dunkle Frage.
Den 24. März 1671
»Aussicht« von Friedrich Hölderlin
Donnerstag, 31. Dezember 2020
Gedanken zum Jahreswechsel
Als wie ein Ruhetag, so ist des Jahres Ende,
Wie einer Frage Ton, daß dieser sich vollende,
Alsdann erscheint des Frühlings neues Werden,
So glänzt die Natur mit ihrer Pracht auf Erden.
aus dem Gedicht
»Der Winter« von Friedrich Hölderlin
Samstag, 26. Dezember 2020
»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin
Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.
Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.
Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.
Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.
Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.
Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber
Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.
Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.
»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin
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