Samstag, 15. Juni 2024

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin


Was ist es, das
An die alten seligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Denn wie in himmlischer
Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend
Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,
In Königsgestalt,
Und zu unschuldigen Jünglingen sich
Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art
Und Töchter zeugte
Stumm weilend unter den Menschen.

Der hohen Gedanken aber
Sind dennoch viele
Gekommen aus des Vaters Haupt
Und große Seelen
Von ihm zu Menschen gekommen.
Und gehöret hab ich
Von Elis und Olympia, bin
Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß
Und über Bergen des Isthmus
Und drüben auch
Bei Smyrna und hinab
Bei Ephesos bin ich gegangen.

Viel hab ich Schönes gesehn
Und gesungen Gottes Bild
Hab ich, das lebet unter
Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist
Das Himmlische reichlich in
Der Jugend zählbar, aber dennoch,
Ihr alten Götter und all
Ihr tapfern Söhne der Götter,
Noch einen such ich, den
Ich liebe unter euch,
Wo ihr den letzten eures Geschlechts,
Des Hauses Kleinod mir
Dem fremden Gaste bewahret.

Mein Meister und Herr!
O du, mein Lehrer!
Was bist du ferne
Geblieben? und da
Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten
Die Helden und
Die Götter, warum bliebest
Du aus? Und jetzt ist voll
Von Trauern meine Seele
Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,
Daß, dien ich einem, mir
Das andere fehlet.

Ich weiß es aber, eigene Schuld
Ists, denn zu sehr,
O Christus! häng ich an dir,
Wiewohl Herakles Bruder
Und kühn bekenn ich, du
Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters
Die verdrossene Irre gerichtet,
Der Erde Gott, und beschieden
Die Seele dem Tier, das lebend
Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,
Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,
Die Sachen auch bestellt er von jedem.

Es hindert aber eine Scham
Mich, dir zu vergleichen
Die weltlichen Männer. Und freilich weiß
Ich, der dich zeugte, dein Vater ist
Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein
Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar
Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,
Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit
Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst
Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt
Hinweg von dieser Erde, daß sie die
Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur
Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber

Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet
Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen
Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie
Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil
Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen
Demütige mit Gewalt
Des Tages oder
Mit Stimmen erscheinet Gott als
Natur von außen. Mittelbar
In heiligen Schriften. Himmlische sind
Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele
Wenn gleich im Himmel.

Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar
Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist
Die Welt. Oft aber scheint
Ein Großer nicht zusammenzutaugen
Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer
Neben dem andern. Jene drei sind aber
Das, daß sie unter der Sonne
Die Jäger der Jagd sind oder
Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit
Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön
Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut
Die Erde. Zu kühlen.

»Der Einzige« von Friedrich Hölderlin

Hölderlin - der Griechenland-Enthusiast


Der Griechenland-Enthusiast Hölderlin feierte den Freiheitskampf der Griechen gegen das Osmanische Reich, zu lesen in seinem einzigen Roman, »Hyperion« – ebenso wie die Desillusionierung seines Helden über die enthemmten Bluttaten aufseiten der Freiheitskämpfer, worin sich Hölderlins Schauder über der Terror in Frankreich ausdrückte. Am Boden zerstört kam er, wie es im Roman heißt, zurück aus Griechenland, wieder „unter die Deutschen“.

Der Hintergrund für Hölderlins Griechenland Enthusiasmus war der Fr

Samstag, 8. Juni 2024

Friedrich Hölderlins Sehnen hinaus die Welt (E)


Hölderlin drängte es aus der Enge der bürgerlichen Konvention in die ferne Welt hinaus. Er sehnte sich nach einer Harmonie zwischen Mensch und Natur, wie er sie in einem idealisierten Bild des alten Griechenland erblickte und für die Zukunft wieder erhoffte.

Griechenland war der Gegenentwurf der engen bürgerlichen Welt, in der Höldelrin sein Dasein fristete. Er brauchte Griechenland nicht als Fluchtort, sondern als Imaginationsraum, an dem er aufzeigen kann, welche entscheidenden Seinsqualitäten im Lauf des Geschichts- und Kulturprozesses verloren gingen und was die Zukunft wiederherstellen muss.

Verloren war für den Dichter vor allem die ursprüngliche ungeteilte Einheit allen Seins, die "durch Götternähe erfüllte" Epoche der Menschheit. Verloren ist ein Idealzustand, den die griechische Philosophie mit "alles ist eins" umschreibt.

Der moderne Mensch, so klagt der Hyperion, der Held des gleichnamigen Briefromans, ist auseinandergebrochen "und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst, als könnt er, wenn es einmal sich aufgelöst, Lebendiges zusammensetzen, wie ein Mauerwerk." Die Beschwörung Griechenlands und seiner Götter setzt einen starken Kontrast zu diesem trostlosen Zeitbefund. Und sie zeigt, was einst war und wieder werden soll.

Samstag, 18. Mai 2024

Hölderlins Wanderung zum Großen Gleichberg

Gleichberge

Zwei gewaltige gleichförmige Basaltkegel, welche sich aus der umliegenden Landschaft emporheben, dominieren weithin die thüringisch-fränkische Grabfeldlandschaft.

Die beiden Gleichberge nahe der Kleinstadt Römhild, auch Zwillingsberge genannt, ziehen alljährlich viele Natur-und Wanderfreunde in ihren Bann, doch fehlen manchmal Orientierungshilfen.

Gleichamberg – »Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde, die Tage kommen blütenreich und milde ...«, so heißt es in dem Frühlingsgedicht Der Frühling von Friedrich Hölderlin.

Im Frühjahr 1794 wanderte Friedrich Hölderlin vom fränkischen Waltershausen aus durch den Milzgrund zum Großen Gleichberg.

Von Dezember 1793 bis Dezember 1794 lebte Hölderlin als Hauslehrer in dem beschaulichen kleinen Ort Waltershausen in der südlichen Rhön. Schiller hatte ihm diese Stelle bei Charlotte von Kalb vermittelt. Seit 1986 ist das Schloss Waltershausen in Privatbesitz.

Friedrich Hölderlin Werdegang (K)

Friedrich Hölderlin, dessen 250. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, war glühender Republikaner, für den die Französische Revolution, die er mit 19 erlebte, ein Erweckungserlebnis war, das für sein ganzes Leben bestimmend blieb.

Hölderlin wollte der Dichter der Revolution sein und Anhänger ihrer Ausweitung auf Deutschland. Und er hat Friedrich Schiller als den deutschen Dichter der Freiheit zutiefst verehrt - als einen der beiden großen Dichterfürsten in Weimar, die klassisch geworden sind. Doch die Klassiker standen der großen Französischen Revolution skeptischdistanziert gegenüber. Und so klassisch werden, wie sie, wollte Hölderlin nicht.

Er dachte anders mit seinem »Hyperion« unter die Deutschen zu kommen: Gewiss er kämpfte vor allem um seine Anerkennung als Dichter – aber als Dichter einer württembergischen Revolution. Und er gehörte auch zu denen, die sie politisch planten. »Wenn’s sein mus, so zerbrechen wir unsere unglücklichen Saitenspiele, und thun, was die Künstler träumten«, schrieb er an den Freund Neuffer.

Eine französische Armee stand in Württemberg, doch das Direktorium in Paris wollte diese württembergische Revolution 1799 nicht. Sie findet nicht statt. Seinen Empedokles lässt Hölderlin rufen: »Diß ist die Zeit der Könige nicht mehr!« Er hat sein Theaterstück zur Feier der vergeblich erhofften württembergischen Revolution nach dem Frühjahr 1799 nie zu Ende geschrieben. Es gab nun keinen Ort, es aufzuführen.

Napoleon Bonaparte wurde Kaiser der Franzosen. Die heroischen Jahre der großen Revolution - auch blutige Jahre, in denen schon sie ihre Kinder fraß - waren vorbei.



Hölderlin hat Friedrich Schiller als den deutschen Dichter der Freiheit zutiefst verehrt - als einen der beiden großen Dichterfürsten in Weimar, die klassisch geworden sind. Er litt von Kindheit an, ähnlich wie Schiller, darunter, dem Landesherrn unmittelbar unterstellt zu sein, denn seine Eltern hatten ihn auf Klosterschulen geschickt (Hölderlin) und sich von diesem für ihren begabten Sohn ein Studium finanzieren lassen (beide), verbunden mit der Verpflichtung, ihm dann später zu dienen, hier der Theologie und als Pfarrer.

Damit erhielt er die höchstmögliche Ausbildung, die es in Schwaben gab.

Er verlor sowohl seinen Vater als auch seinen Stiefvater sehr früh.

An der Uni in Tübingen teilte Hölderlin sich mit Hegel und Schelling das Quartier, die drei saßen zusammen und entwarfen das erste Programm des deutschen Idealismus, den Hölderlin später in der Literatur und Hegel in der Philosophie vertreten sollte.

Hölderlin war zutiefst inspiriert von den humanistischen Gedanken der Französischen Revolution und ihren Idealen einer freien und gleichen Gesellschaft, die er sich auch für Deutschland wünschte.

Seine Dichtung widmete er dem Zweck dieser Umsetzung.

Nach dem Studium entkam er dem Würgegriff des Landesherrn und der Pfarrstelle, indem er Hauslehrer wurde.

Bald wechselte er nach Jena, wo sich damals die intellektuelle Blüte Deutschlands versammelte: sein 10 Jahre älterer Landsmann und Förderer Schiller, Goethe, Herder, Wieland, Hegel.

Dort bewegte er sich erfolgreich in künstlerisch-intellektuellen Kreisen. Weiterhin verkehrte er aber auch in republikanisch-politischen Kreisen.

Von Jena aus beobachtete man aufmerksam die Entwicklung der Revolution in Frankreich und war alsbald entsetzt über die blutige Terreur des Fanatikers Robespierre, die sowohl royale als auch gemäßigte Kräfte auf der Guillotine exekutierte.

Trotz des blutigen Terrors hielt Hölderlin an den ursprünglichen Idealen und Zielsetzungen fest.

In Deutschland wurden republikanische Bestrebungen von den Obrigkeiten verfolgt.

Trotz seiner guten Kontakte und obwohl Schiller ihm die Veröffentlichung seines einzigen Romans "Hyperion" bereits zugesagt hatte, verließ Hölderlin Jena Hals über Kopf. Schiller fehlte dafür jedes Verständnis.

Hölderlin reiste nach Frankfurt und nahm dort eine Hauslehrerstellung bei dem Bankier Jakob Gontard an. Er fühlte sich seinem Dienstherrn geistig überlegen und litt unter seiner ihm untergeordneten Stellung. Überhaupt fühlte er sich in Frankfurt nicht wohl, das schon damals eine Hochburg des Kapitals war.

Er verliebte sich unsterblich in die ebenfalls unglückliche junge Frau seines Arbeitgebers. In vielen Unterrichtsstunden kamen sie einander näher.

Als die französischen Truppen einrückten, wurde er zur Begleitung der Ehefrau mit ihr einen Sommer aufs Land geschickt. Der Sommer ihres Lebens.

Zurück in Frankfurt, bekam der Ehemann Wind von der bereits seit mehreren Jahren bestehenden Beziehung. Hölderlin wurde sofort entlassen, seine Welt brach zusammen.

Er war untröstlich, ging für einige Zeit nach Frankreich, dann wieder zurück nach Deutschland, wo ein republikanisch-revolutionärer Freund ihm eine leichte Stellung vermittelte.

Seit Frankreich war sein seelischer Zustand schwer angeschlagen, aber er dichtete fortwährend; mit 33 Jahren schrieb er in verzweifeltem Zustand das Gedicht "Hälfte des Lebens", nicht mehr hymnisch wie die jubelnden früheren Gedichte, das letzte Gedicht, das sich noch an die bekannten Formen hielt.

Ab da gab er diese auf und fand zu einer völlig neuen, eigenen, avantgardistischen Formensprache, von allem Bekannten losgelöst, die seine Zeitgenossen, einschließlich der etablierten Olympier in Weimar, die den Ton angaben, nicht mehr verstanden.

Hölderlin wusste, ab jetzt würde er einen sehr einsamen Weg beschreiten, ein Einzelgänger sein, quer zum etablierten Literaturbetrieb, von diesem unverstanden und nicht akzeptiert, auf sich selbst allein zurückgeworfen.

Er zog sich extrem zurück und schrieb viel.

Es ging ihm seelisch sehr schlecht, aber er war fest entschlossen, seinen Weg weiterzugehen.

Eine große Treue zu sich selbst zeichnete ihn aus.

Ich vermute, dass er viele seelische Transformationen durchlebte, alle alten Gewissheiten broeckelten und fielen in sich zusammen. Er war gezwungen, sich ganz neu zu finden, sehr frei und sehr allein. Ähnlich vielleicht wie Nietzsche.

Er hasste die moderne Welt, den Kapitalismus, die technischen und sozialen Veränderungen seiner Epoche und fühlte sich durch diese moderne Zivilisation von der Natur und seiner Ganzheit entfremdet. Er sehnte sich nach Einheit und fand diese in der Natur und im Alleinsein.

Seine Dichtung und Sprache spiegelt seine Bewusstseinszustände.

Ein sehr gefährdeter, wenn auch womöglich progressiver, pionierhafter Zustand. Leider gab es damals noch keine Psychotherapeuten, die ihn helfend und erklärend hätten begleiten können.

Anders als bei Nietzsche kam bei Hölderlin noch das politisch-revolutionäre Interesse und Bestreben hinzu.

Er verfolgte das sehr ehrgeizige Projekt einer Veränderung der Gesellschaft durch Dichtung und Politik.

Das ist mir neu - bisher hielt ich ihn für einen weltfremden versponnenen, unpolitischen Einzelgänger, der abgehoben im Elfenbein-Turm saß.

Aber nein, er hatte anscheinend einen Plan, ein Ziel, ein Projekt.

Und ließ sich davon durch nichts abbringen.

Anfang des 19. Jh. wurde sein republikanischer Freund, der ihm die Stelle beschafft hatte, verhaftet und kam ins Gefängnis.

Kurz darauf wurde Hölderlin in einer Nacht und Nebel-Aktion von Bad Homburg nach Schwaben entführt, gepackt und in eine Kutsche geschleift, in einer viertägigen Fahrt.

Angeblich wegen seines Geisteszustandes, neuere Vermutungen gehen dahin, um ihn vor einer ebenfalls anstehenden Verhaftung zu schützen.

Er wird nach Schwaben in eine psychiatrische Anstalt gebracht, dort nach den modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen gefoltert und traumatisiert und nach einigen Monaten entlassen, mit der Diagnose "unheilbare Schizophrenie".

Daraufhin wird er zur Pflege zu einem Tübinger Handwerksmeister gegeben, in dessen Haus er dann noch über 30 Jahre in dem bekannten Turmzimmer mit Blick auf den Neckar lebt.

Er wird dort liebevoll, fürsorglich und respektvoll behandelt. Er ist meistens alleine, redet viel mit sich selber, steht um 3 Uhr morgens auf, geht am Neckar spazieren, schreibt Gedichte und Briefe und empfängt, mittlerweile berühmt, Bewunderer und Besucher.

Er distanziert sich von seinem früheren Ich und seinem früheren Werk, erkennt dieses zwar noch als seines, behauptet aber, nicht Hölderlin zu sein.

Er gibt sich andere Namen, nennt sich Scardanelli.

Auch dies könnte ein Ausdruck seines verwandelten, gereiften Ich sein.

Er schreibt jetzt völlig anders, weniger emotional aufgewühlt, nicht mehr pathetisch und emphatisch, nicht mehr auf eine ferne, paradiesische Zukunft ausgerichtet, sondern versucht sein Heil im Hier und Jetzt, in der Gegenwart, im Kleinen, im Bestehenden und, nach wie vor, in der Natur zu finden.

Er sehnt sich nach Ruhe und Frieden, dies drücken seine Gedichte aus. Sie überraschen durch eine neue Einfachheit, fast Kindlichkeit, Schlichtheit.

Die Weisheit ist einfach, schlicht, mit dem Herzen und dem Gemüt eines Kindes zu erfahren.

Wollen wir ihm wünschen, dass sein kühner, hochfahrender Geist zu dieser einfachen Weisheit und Ruhe gefunden, sein Gemüt sich beruhigt hat.

Insgesamt wird er als sehr distanziert geschildert, der auch durch übertriebene, förmliche Anreden viel Distanz zwischen sich und andere brachte.

Wollen wir ihm wünschen, dass diese Distanz dem Schutz seines zerbrechlichen Ich diente und nützte.

Oft ist das, was Zeitgenossen als "wahnsinniges", weil unverständliches Verhalten erscheint, in Wirklichkeit sehr sinnvoll für die innere Welt und das innere Erleben des Menschen und wird vielleicht erst im Nachhinein verstanden.

Mir scheint, dass Hölderlin seiner Zeit voraus war in seinem revolutionären Bewusstsein. Wie einsam muss so jemand sein, der von seiner Zeit nicht verstanden wird.

Gehen wir davon aus, dass er sich selbst sein bester Freund war.

Es fällt auf, dass viele bekannte Künstler, die in diesem (langen) großen Epochen- und Paradigmenumbruch zur Moderne lebten, von außen als "wahnsinnig" diagnostiziert wurden.

Mir fallen da ein: Lenz, Hölderlin, Nietzsche. Und Verzweifelte wie Kleist und, ein Jahrhundert später, am anderen Ende dieses langen großen Epochenumbruchs, Trakl, die keine Heimat fanden in dieser Welt.

Hölderlin, am Beginn des Umbruchs stehend, der Demokratie versprach, die 130 Jahre (das lange 19. Jh. lang) auf sich warten ließ, hatte es im Prinzip relativ gut: Er wurde liebevoll versorgt, kam nicht ins Gefängnis, nicht in die psychiatrische Anstalt, war relativ frei und konnte machen, was er wollte.

Wollen wir ihm wünschen, dass er sich dessen bewusst war und das auch so sah.

Heute, scheint mir, wird Hölderlin neu entdeckt.

Wir, an einem neuen dramatischen Epochenumbruch stehend, entdecken in ihm einen verwandten Geist, eine verwandte Seele, die uns die Schwierigkeit einer solch gewaltigen Veränderung aufzeigt.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.
Die Elegie »Brod und Wein« entstand etwa um 1800 und ist nach Rüdiger Safranski und nach meiner Meinung das vielleicht schönste Gedicht Hölderlins. Die erste von neun Strophen lautet:

»Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.«


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Blog-Artikel:

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog

Mittwoch, 20. März 2024

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.


»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.

Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.

Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen.


Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de

Blog-Artikel:

»Hälfe des Lebens« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

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